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Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern

Titel: Wimsey 04 - Der Mann mit dem Kuperfingern
Autoren: Dorothy L. Sayers
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macht die Geheimtür hinter ihm, durch das Heben der Stahlplatte ausgelöst, einen Satz, wie ein Panther. Ein etwas abgedroschener Vergleich, aber passend, finden Sie nicht auch?»
    «O mein Gott! Mein Gott!» Sie riß die Hände hoch, als wollte sie sich die erstickende Maske vom Gesicht reißen. «Sie – Sie Teufel – Sie Teufel! Wie heißt das Schlüsselwort für diese Innentür? Schnell! Sonst lasse ich es Ihnen herausreißen – das Wort!»
    «Das Wort ist nicht schwer zu merken, Madame – obgleich es schon einmal vergessen wurde. Erinnern Sie sich, daß man Ihnen als Kind das Märchen von Ali Baba und den vierzig Räubern erzählt hat? Als ich diese Tür anfertigen ließ, müssen meine Gedanken – meines Erachtens in einer Anwandlung von Sentimentalität – zu den glücklichen Stunden meiner Kindheit zurückgewandert sein. Das Schlüsselwort für die Tür lautet also – ‹Sesam öffne dich›.»
    «Aha! Wie lange kann ein Mensch in dieser teuflischen Falle überleben?»
    «Ja nun», meinte Wimsey gutgelaunt, «ich denke schon, daß er es ein paar Stunden aushält, wenn er die Ruhe bewahrt und den vorhandenen Sauerstoff nicht mit Brüllen und Umsichschlagen verbraucht. Wenn wir uns sofort hinbegeben, werden wir ihn schon noch gesund und munter vorfinden, denke ich.»
    «Ich fahre selbst hin. Nehmt diesen Mann und – macht ihn fertig! Aber bringt ihn noch nicht um, bevor ich zurück bin. Ich will ihn sterben sehen!»
    «Moment noch», sagte Wimsey, unbeeindruckt von diesem frommen Wunsch. «Ich finde, Sie sollten mich lieber mitnehmen.»
    «Warum – wieso?»
    «Weil ich nämlich der einzige Mensch bin, der die Tür öffnen kann.»
    «Sie haben mir doch das Schlüsselwort gesagt – war das gelogen?»
    «O nein – das Wort stimmt schon. Aber sehen Sie, die Tür – das ist eine von diesen neumodischen elektrischen Türen. Anders ausgedrückt, sie ist überhaupt der letzte Schrei an Türen. Ich bin ziemlich stolz darauf. Sie gehorcht zwar auf die Worte ‹Sesam öffne dich› – aber nur auf meine Stimme .»
    «Ihre Stimme? Ihre Stimme ersticke ich mit eigenen Händen! Was soll das heißen – nur auf Ihre Stimme?»
    «Genau das, was ich sage. Drücken Sie nicht so an meiner Kehle herum, sonst verändern Sie womöglich meine Stimme so, daß die Tür sie nicht erkennt. So ist es besser. Bei Stimmen ist sie nämlich ziemlich kleinlich. Einmal konnte ich sie eine Woche lang nicht öffnen, weil ich mich erkältet hatte und ihr mein Anliegen nur in einem heiseren Flüsterton vortragen konnte. Selbst normalerweise muß ich es oft mehrmals versuchen, bis ich genau den richtigen Ton treffe.»
    Sie drehte sich um und wandte sich an einen kleinen, untersetzten Mann neben ihr.
    «Ist das wahr? Ist das möglich?»
    «Durchaus, Madam – leider», sagte der Mann höflich. An seinem Tonfall glaubte Wimsey ihn als einen Werktätigen der gehobeneren Klasse zu erkennen – vielleicht ein Ingenieur.
    «Ist das eine elektrische Vorrichtung – verstehen Sie etwas davon?»
    «Ja, Madam. Es wird irgendwo ein Mikrophon darin eingebaut sein, das Schall in eine Serie mechanischer Schwingungen umwandelt, die ihrerseits eine Nadel in Bewegung setzen. Wenn die Nadel das richtige Schwingungsmuster erkennt, wird ein Stromkreis geschlossen, und die Tür geht auf. Dasselbe kann man ebensogut mit Lichtschwingungen machen.»
    «Könnten Sie die Tür mit Werkzeug öffnen?»
    «Wenn ich Zeit genug hätte, gewiß, Madam. Aber nur durch Zerstörung des Mechanismus, der wahrscheinlich gut geschützt ist.»
    «Darauf dürfen Sie sich fest verlassen», meinte Wimsey in begütigendem Ton.
    Sie griff sich an den Kopf.
    «Ich fürchte, wir müssen uns geschlagen geben», sagte der Ingenieur, in dessen Stimme ein gewisser Respekt für gute Arbeit mitschwang.
    «Nein – halt! Irgend jemand muß doch wissen – die Arbeiter, die dieses Ding gebaut haben!»
    «In Deutschland», sagte Wimsey knapp.
    «Oder – ja, ja – ich hab’s! Ein Grammophon. Dieser – dieser – er – wir müssen ihn zwingen, das Wort für uns zu sprechen. Schnell – wie ist das zu machen?»
    «Geht nicht, Madam. Wo sollen wir sonntags morgens um halb vier so ein Gerät herbekommen? Der arme Mann wäre längst tot, bevor –»
    Es wurde still, und in der Stille drangen die Geräusche des erwachenden Tages durch die verhängten Fenster herein. In der Ferne hörte man eine Autohupe.
    «Ich gebe mich geschlagen», sagte sie. «Wir müssen ihn gehen lassen. Nehmt ihm die
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