Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor

Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor

Titel: Wilsberg 14 - Wilsberg und der tote Professor
Autoren: Juergen Kehrer
Vom Netzwerk:
bin ich in meinem Beruf gewohnt«, sagte ich verständnisvoll.
    Nach der Ankündigung hatte ich einen verschrobenen, linkischen Akademiker erwartet, der selbst bei vierzig Grad Hitze seine Fliege nicht ablegt, doch ich traf auf einen jungen, durchtrainierten Mann in Jeans und T-Shirt, dessen blonde Haarpracht an Brad Pitt erinnerte.
    »Dr. Weichert?«
    »Lassen Sie den Doktor weg, wenn Sie nicht krank sind. Und wer sind Sie?«
    Ich entschied mich für die Wahrheit: »Mein Name ist Wilsberg. Ich bin Privatdetektiv.«
    »Oh, ein Schnüffler. Ein Sam Spade, Philip Marlowe, Hercule Poirot, Lew Archer, Pepe Carvalho.«
    »So was in der Art, ja.«
    Er trommelte mit den Fingern der rechten Hand auf den Schreibtisch und deutete mit der linken auf den Besucherstuhl. Weicherts Zimmer war kleiner als das von Kaiser, die hier versammelte Menge an Büchern und Aktenordnern schien jedoch ähnlich umfangreich zu sein. Dafür hatte Weichert auf jeglichen Wandschmuck verzichtet.
    »Ich liebe Krimis. Ist Ihr Leben auch so aufregend?«
    »Meistens nicht.«
    Sein Trommeln machte mich nervös. Ich bemerkte, dass es einen Rhythmus gab. Er trommelte jeweils fünf Mal und legte dann eine kleine Pause ein.
    »Was kann ich für Sie tun, Herr Detektiv – effektiv ?«
    »Ich untersuche den Mord an Professor Kaiser.«
    »Ja ...« In seinem Gesicht zuckte es. »Das hat uns alle ...« Er lehnte sich zurück, das Zucken wurde stärker. »Ah ... ah ...«, er überdeckte das folgende Wort mit einem Husten, es hatte wie Arschgesicht geklungen, »... alle hart getroffen.«
    Langsam verstand ich, was die Sekretärin meinte. »Ist Ihnen nicht gut?«
    Das Zucken hörte auf. »Kein Problem. Tourette. Monsieur Gilles de la Tourette, das Tourette'sche Syndrom. Ich bin ein Touretter. Schon mal davon gehört?«
    Ich hatte eine leise Ahnung.
    »Ticks, körperliche und sprachliche«, erklärte er. »Koprolalie. Wenn ich schweinische Sachen sage ... Lutschmichbaby ..., dann dürfen Sie das nicht persönlich nehmen.«
    »Verstehe.«
    »Der Hypothalamus tickt nicht richtig, das Althirn, der Mandelkern. Der Urmensch bricht in mir durch. Das Es, wie Freud sagen würde, gewinnt die Oberhand. Ich denke, Tourette lenkt. Aber geistig bin ich völlig klar.«
    »Gut zu hören.«
    Er machte eine schwungvolle Bewegung mit dem rechten Arm, begann dann wieder zu trommeln, stoppte das Trommeln jedoch mit einem gezielten Schlag der linken auf die rechte Hand.
    »Bei Aufregung wird's schlimmer. Was die Parkinson-Leute zu wenig haben, haben wir zu viel ... Dopamin . Ich könnte mich mit Dämpfern voll stopfen, aber dann bewege ich mich nicht nur in Slomo ... Lomo Lutschmichlionel ... ich denke auch so. Fühlt sich ekelhaft an. Außerdem mag ich meine gewagten Bewegungen und meine touretteschen Assoziationen, auch wenn sich manchmal ein Wort im Gehirn verhakt ... verdammte Hacke . Soweit ich weiß, Sam-Philip, ist Mord eine Sache für die Polizei.«
    »Ich habe einen Klienten, der in die Sache involviert ist.«
    »Einen Klienten?« Er lachte zuckend. »Nicht vielleicht eine Klientin? Unsere gute Marie, die Witwe?«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    »Alle haben es gewusst, nur die liebe alte Marie nicht ... verfickt .«
    »Was gewusst?«
    »Dass der alte Kaiser allem, was ... Muschi ... weiblich war, an die Wäsche ging.«
    »Und Sie hat das nicht gestört?«
    »Bin ich weiblich, Hercule? Nein, ich bin männlich, durch und durch. Mein Tourette macht mich sogar noch männlicher. Meine Wäsche interessierte Kaiser nicht. Er hat mich als Assistenten durchgesetzt, gegen erheblichen Widerstand im Fachbereich. Einen Verrückten, einen Irren, inkompatibel mit der ordentlichen, moralisch einwandfreien Menschheit, den armen, erziehungsbefohlenen Studenten. Das rechne ich Kaiser hoch an, dafür bin ich ihm dankbar.«
    »Sie mochten ihn also?«
    »Gut kombiniert, Lew. Er war ein Freund – wie sagt man so schön? –, ein väterlicher Freund. Außerdem hatten wir eine gemeinsame Leidenschaft. Das wird Sie begeistern, Pepe: Geheimsprachen. Kaisers Forschungsgebiet. Ich habilitiere über Masematte ... matte Latte ... latte macchiato ...«
    Was ich über Masematte wusste, beschränkte sich auf die wenigen Begriffe, die in das münstersche Alltagsdeutsch übergegangen waren und die außerhalb von Münster niemand verstand: jovel , schofel, hamel , Leeze .
    Weichert winkte ab. Und wenn er abwinkte, sah das aus wie eine halbe Pirouette. »Jugendsprache. Das ist nichts. Masematte ist eine tote Sprache,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher