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Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt

Titel: Wilsberg 08 - Das Kappenstein-Projekt
Autoren: Juergen Kehrer
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Klassenfeind überlaufen …«
    »Rechtfertigt ihre Ermordung?«
    Ein Lächeln machte sich auf seinem Gesicht breit. »Ich bin verrückt«, erklärte er. »Das ist medizinisch erwiesen. Ich muss nicht ins Gefängnis.«
    »Aber auf deinen nächsten Ausgang wirst du ein bisschen warten müssen.« Ich schob die rechte Hand unter den Trenchcoat. »Komm! Wir gehen zur Polizei.«
    Er rührte sich nicht vom Fleck. »Und wenn ich mich weigere?«
    »Das würde ich dir nicht raten. Ich bin bewaffnet.«
    Er beobachtete meine Hand und fragte sich vermutlich, ob ich bluffte. Ich ließ ihn kurz die Pistole sehen. »Vorwärts!«
    »Wohin?«
    »Zur Wache am Alten Steinweg.«
    Die Einkaufsstraße war jetzt menschenleer. Ich blieb einen halben Schritt hinter ihm und behielt die Hand an der Waffe. Nach allem, was er getan hatte, durfte ich mir über seine Skrupel keine Illusionen machen.
    Wir gingen schweigend. In wenigen Minuten würden wir den Alten Steinweg erreicht haben. Ich war zufrieden mit mir. Einmal hatte ich alles richtig gemacht.
    Merten stolperte über einen Fahrradständer, humpelte im Kreis und rieb sich das Bein. »Au! Helfen Sie mir!« Er streckte mir seine linke Hand entgegen.
    Es war ein Reflex. Bevor ich darüber nachdachte, hatte ich seine Hand ergriffen. Mit der linken zwar, aber trotzdem kam er dicht genug heran, um mir seine rechte ins Gesicht zu schlagen. Ich war so überrascht, dass ich die Pistole losließ. Und als ich sie endlich unter dem Trenchcoat hervorzog, lag ich nach einem Magentreffer und einem Kopfstoß bereits auf dem Rücken. Merten kniete auf mir, und das war die erheblich bessere Position. Mit seinem ganzen Körpergewicht drückte er den Arm, der die Waffe hielt, zu Boden. Im letzten Moment entschied ich mich dafür, sie wegzuschleudern. Das erschien mir immer noch besser, als sie ihm zu überlassen. Andererseits hielt ihn jetzt nichts mehr davon ab, meinen Kopf zu packen und auf den Asphalt zu knallen.
    Die Folge war ein überwältigender Schmerz, verbunden mit Übelkeit und einem Dröhnen, als ob ich unter einem Flugzeugmotor liegen würde. Heiße Luft streifte mein Gesicht. Ich blinzelte und sah eine verschwommene weiße Kugel. In der Kugel öffnete sich ein schwarzer Spalt. Die Stimme klang verzerrt und unnatürlich laut: »Du bist ein mieser kleiner Agent des Kapitals. Mit Leuten wie dir hat das Proletariat kein Mitleid.«
    Ich antwortete in zwei Worten: »Leck mich!«
    Statt die Diskussion fortzusetzen, wiederholte er das, was er mit meinem Kopf gemacht hatte. Bevor ich das Bewusstsein verlor, sah ich einen gütigen Mao zwischen den Wolken schweben.
    Nach einer derartigen Behandlung aufzustehen, ist komplizierter als sich hinzulegen. Ich brauchte unendlich lange, bis ich die Hände bewegen konnte. Der Rücken und die Beine waren eiskalt, den Kopf mochte ich nicht drehen. Dann tastete ich mit den Händen das Gesicht ab. Es fühlte sich feucht und glitschig an. Ich öffnete die Augen und sah, dass es sich um Blut handelte. Platzwunden, diagnostizierte ich. Der Gedanke, dass ich lebte, gab mir Hoffnung. Der zweite Gedanke war weniger hoffnungsvoll. Er beschäftigte sich mit dem, was Merten wohl gerade machte. Das brachte mich dazu, mich ächzend auf die Seite zu drehen. Soweit ich das beurteilen konnte, war die Datenübertragung zwischen Gehirn und Muskeln noch intakt. Ich befühlte den Hinterkopf. Er schien ebenfalls nur leicht beschädigt zu sein.
    Ich kniete mich hin und musste mich übergeben. Wo blieben eigentlich die helfenden Hände, die einen Verletzten auf die Beine stellten? In weniger als zwanzig Meter Entfernung sah ich Passanten vorübergehen. Sie schauten interessiert zu mir herüber. Vermutlich hielten sie mich für einen besoffenen Penner, der die Gelegenheit nutzen würde, ihre saubere Kleidung zu besudeln.
    Nach dem Kotzen fühlte ich mich besser. Der Kopfschmerz war schier unerträglich, aber die Übelkeit ließ nach. An einem Abfalleimer zog ich mich hoch. Ich torkelte zur Promenade. Dort standen mehrere Telefonzellen.
    Tatsächlich fand ich eine, die Bargeld akzeptierte. Ich steckte mein letztes Markstück in den Schlitz und wählte.
    »Rausch«, sagte eine Frauenstimme.
    Ich atmete auf und krächzte.
    »Was soll das? Ich steh nicht auf Wichser, die sich am Telefon einen runterholen.«
    »Georg«, flüsterte ich lauter. »Merten. Mich niedergeschlagen. Auf dem Weg zu dir.«
    »Georg, bist du das?«
    »Ja. Polizeischutz verständigen. Du bist in Gefahr.«
    »Mein
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