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Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Titel: Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)
Autoren: Gunter Hofmann
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passieren und was sich am Beispiel Julius Lebers gewinnen ließe für seine oberste Maxime – Geschichte ist menschengemacht!
    Brandt: Berlin als Erinnerungsort – allein das schon sei eine richtige Entscheidung! Hier überstellte ihn der Volksgerichtshof den Scharfrichtern, hier stimmte Leber gemeinsam mit Otto Wels und seiner Fraktion gegen Hitlers Gesetz zum permanenten Verfassungsbruch, hier baute er sich seit 1937 nach Jahren im Folterlager eine bescheidene Existenz auf, und hier traf er Gesinnungsfreunde, die den Tyrannen beseitigen wollten!
    Verteidigen wollte Brandt wieder, wie schon so oft in seinem Leben, Opposition und Widerstand generell. Historikern, die am Ausdruck «deutscher Widerstand» zweifelten, weil es keine Organisation und kein Programm gegeben habe, das diesen Begriff rechtfertige, «abgesehen von der Gegnerschaft zum NS-Regime», erwiderte Brandt unverblümt: «Immerhin! – würde ich da gerne hinzufügen und fragen wollen, ob es damals überhaupt ein wichtigeres ‹Programm› geben konnte als den Sturz des hirnrissigen Terrorregimes und das Ende des völkerfressenden Krieges.»
    Er wisse, fuhr ein melancholisch gestimmter Redner – ein knappes Jahr vor seinem Tod – fort, dass die Geschichte der Niederlage «meist nur eine begrenzte Zahl von Lesern» finde. Auch gebe es Grenzen der Neigung, den Unzulänglichkeiten einer früheren Generation krampfhaft nachzuspüren. Aber ob dies schon erklärt, dachte er laut, warum die organisierte Nazigegnerschaft hierzulande nicht stärkere Spuren hinterlassen hat?
    Brandts Antwort: «Mir stellt es sich so dar, daß es die neue bundesdeutsche Staatlichkeit schon bald nicht mehr nötig zu haben meinte, sich auf ihr antinazistisches Erbe – und dessen Blutzeugen! – deutlich zu berufen. Der Klimawechsel hin zum Kalten Krieg bedeutete eben auch für Deutschland, daß neue politische Wetterkarten gezeichnet wurden.» Brandt legte sogar noch nach: Im gleitenden Übergang habe es kaum noch interessiert, was Theodor Heuss über seine heimlichen Besuche beim Kohlenhändler in Berlin-Schöneberg zu berichten wusste; auch Generaloberst Ludwig Beck, dem es zugefallen wäre, Staatsoberhaupt zu werden, habe den «Kohlenhändler» noch aufgesucht, wenige Tage bevor dieser von der Gestapo abgeholt wurde …
    Sein Fazit: «Die überkommenen Kategorien von Pflicht und Gehorsam hinter sich zu lassen – das mußte, wie die Dinge lagen, die Haltung einer besonders mutigen Avantgarde bleiben. Und diese schälte sich unabhängig von Herkunft und früherer Zuordnung heraus.» Brandt: Von Anfang an töricht war es deshalb, mit erhobenem Zeigefinger danach zu fragen, ob sich ein sozialer Demokrat wie Leber mit rückwärts-gewandten National-Konservativen oder Heerführern ohne politischen Überblick, mit blinden Beamten oder sogar mit solchen hätte einlassen dürfen, die Hitler auf den Leim gegangen waren, bevor sie sein Verbrechertum durchschauten. «Die Frage nach den Prioritäten war so zu beantworten: Gilt es eine überragende Gefahr zu überwinden, so sind dazu ungewöhnliche Bündnisse erlaubt – oder sogar geboten.»
    Es hätte ihm Schlimmeres passieren können, formulierte er ironisch, als gelegentlich sein Schüler genannt zu werden, aber der Wirklichkeit entsprach es nicht. Lebers Rat habe er nur als Journalist angenommen, gestand der Gedenkredner freimütig, er habe zu den Radikalen gehört, die gegen die Weimarer Saft- und Kraftlosigkeit aufbegehrten. Von Lebers Vorwurf von der «Lust an der Ohnmacht» habe er sich dennoch nicht getroffen gefühlt. Von der Neigung allerdings, «blutleere Wortungetüme für brauchbaren Politikersatz» zu halten, könne er sein «eigenes, längeres Lied singen».[ 11 ]
    Seinen eigenen Julius Leber hatte jeder der Redner in der Kirche an diesem Tag vor Augen: Brandt die Heroenfigur der Lübecker Arbeiterschaft, den Mann, der den unaufhaltsamen Aufstieg Hitlers doch aufzuhalten versuchte, seine schützende Hand über ihn hielt, dessen Weitsicht und Entschlossenheit er aber zu spät erkannt hat; Schmidt den Unbeugsamen vor Freislers Gericht, den Reichstagsabgeordneten, der Sozialdemokratie und Militär miteinander zu versöhnen suchte, den «wehrhaften Demokraten», dem alle Theorie fremd war. Und dennoch: So anders sie auch auf ihn sahen, Brandts und Schmidts Bild von Leber war kompatibel, wie man in der Gethsemanekirche lernen konnte. Unwillkürlich glaubte man zu verstehen, was sie in ihrem Leben verband.
    Hinterher, man
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