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Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Titel: Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)
Autoren: Gunter Hofmann
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nationalen Ikone und zur Kultfigur, und nicht erst mit der Interviewserie in der ZEIT , «Auf eine Zigarette …»
    Egon Bahr, den ich danach frage, weshalb Schmidt inzwischen derart respektiert, ja verehrt wird von nahezu allen Seiten, hält dafür eine Erklärung parat, die überraschen mag – «der Schatten von ‹Willy› ist weg.» Befreit sei er von einem Übervater, der nicht nur respektiert, sondern verehrt und geliebt wurde. In dieser Freiheit, fügt Bahr hinzu, habe Schmidt sich zu einer Persönlichkeit auf hohem Podest entwickelt: Ein Patriot mit ungeheuer viel Erfahrung, vernünftigen Urteilen, der keine Ämter mehr anstrebe, der sagt, was er denkt. In aller Verbundenheit mit Freund «Helmut» wählt er diese Worte.
    Willy Brandt, den Bahr seit dessen Berliner Tagen begleitete, sieht er im Zeitraffer folgendermaßen: In Washington genoss er Vertrauen, seit er in Berlin 1961 beim Mauerbau kühl und aufrecht reagierte, zudem erhielt er noch den Friedensnobelpreis, kurzum, er war unantastbar; unantastbar war er auch für Moskau, obwohl ein Sozialdemokrat, weil er in Skandinavien im Exil war, und von dort aus nach Berlin reiste im Untergrund, während Hitler bereits regierte. Das heißt: «Der Mann hatte Mut!» Schmidt, überlegt Bahr, war so nicht, er unterstützte die Ostpolitik entschieden, «aber gemacht hätte er sie nie».
    Noch einmal sei daran erinnert: Im Jahr 1959 hatte Schmidt Brandt erstmals seine «Freundschaft angetragen».[ 17 ] Aber er reagierte ausweichend, als wolle er einsam bleiben. Was hat Brandt einsam gemacht? Woher kam dieser Eindruck, all sein Lebensoptimismus sei auf seltsame Weise gepaart mit Melancholie? Welche Gespenster plagten ihn? «Mit am bittersten war die Enge … die boshafte Enge, mit der manche über mich gesprochen haben wegen der Nazi-Zeit, das hat mir sehr wehgetan», hat Willy Brandt einmal bemerkt, aber nur sehr selten ging er so weit.[ 18 ]
    Dass auf einer der vier Stimmkarten aus den eigenen Reihen, die ihn 1969 nicht zum Kanzler wählten, «Frahm, nein» notiert war, das hat er wohl nicht verwunden. Nazi durfte man sein, wie Kurt Georg Kiesinger, um zum Kanzler gewählt zu werden, Anti-Nazi nicht?
    Ob er sich selber immer ganz unter Kontrolle habe, wollte ein klug bohrender Günter Gaus 1966 vom jungen Politstar Helmut Schmidt vor laufenden TV-Kameras wissen. Bereits in diesem Gespräch – ein rares Dokument der Zeitgeschichte und des Fernsehens vor der Talkshow-Demokratie – bewies er seine Fähigkeit, ein Bild von sich zu zeichnen ohne billige Schauspielerei. Vermessen wäre es, zu sagen, dass er sich ganz unter Kontrolle habe, er glaube aber, «weithin», erwiderte er nuanciert auf die Frage des unvergesslichen Gaus. Kontrolle und Verantwortlichkeit für das, was er machte: Das hatte er sich nach den bitteren Lehrjahren vorgenommen, nach 1945. Er wollte sich selber politisch «führen», aber die Deutschen nach Möglichkeit auch. Das war das Projekt Schmidt.
    Seinem Koordinatensystem, seinen Maßstäben – mit Marc Aurel, Immanuel Kant, Max Weber immer im Kopf – wollte er folgen und gerecht werden.
    «Schmidt hatte es schwerer», denkt Hans-Dietrich Genscher laut nach über seine Erfahrungen mit beiden Kanzlern, die er dreizehn Jahre am Kabinettstisch beobachtete, Brandt «hatte den mit Abstand schwierigeren Weg, aber auch das ‹Prä› seines Lebensweges, hatte Charisma und verkörperte das ‹andere Deutschland›». Das alles galt für Schmidt nicht. Konrad Adenauer und Theodor Heuss, fährt Genscher fort, verkörperten ein anständiges, aber nicht ein anderes Deutschland. Sie gehörten zu der Generation, die nicht die Uniform anziehen musste. Nach der Übergangsphase mit Erhard und Kiesinger kam der, «der hätte dabei sein können, vom Lebensalter her, der aber ein Internationalist wurde und nach Oslo ging.» Brandt war «Teil der inneren Klärung, auf Seiten der deutschen Linken vor 1933». Die Zäsur, will Genscher sagen, die es bedeutete, dass dann dieser Emigrant Kanzler werden konnte, kann man gar nicht groß genug einschätzen. Ich meine, er hat Recht.
    Hätte es die Grünen auch ohne Helmut Schmidt gegeben? Ja! Noch heute ist Schmidt sich sicher darin. Überall in Europa lag das in der Luft, ökologische Parteien blühten auf, das konnte die SPD nicht integrieren.
    Willy Brandt dagegen hielt den Bruch, wie er es empfand, also die Neugründung der Grünen für vermeidbar – und für ein Versagen seiner Partei. Darin blieb er mit Schmidt
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