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Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Titel: Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)
Autoren: Gunter Hofmann
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Helmut Kohl es von einem Abschiedsbesuch berichtete, ein Staatsbegräbnis im Reichstag mit Offiziersehrenwache und großem Zeremoniell.
    Richard von Weizsäcker erinnerte dabei an seinen Kniefall in Warschau als Zeichen eines Regierenden, das keiner erwartet hatte und keiner vergessen hat; Björn Engholm zitierte den Titel seiner Memoiren, Links und frei , als Lebensprogramm; Helmut Kohl nannte ihn einen Brückenbauer; und Felipe González, die Zukunftshoffnung der Sozialistischen Internationale, den Brandt sich ausdrücklich als Redner gewünscht hatte, rief ihm ein bewegendes adiós amigo zu. Bundeswehrsoldaten trugen ihn unter Trommelwirbel die Treppen aus dem Reichstag herab. Dem «Deserteur», der so oft diffamiert worden war, spielte das Musikkorps, auch das wunschgemäß, das Lied vom guten Kameraden. Keiner der Redner ging darauf ein, weshalb ausgerechnet Brandt, der das Pathetische und das Pompöse hasste, dieses Staatszeremoniell am Herzen lag, aber es war unmissverständlich. Um eine Art Wiedergutmachung ging es ihm, und er erhielt sie auch.
    Am Grabe sonnten sich alle – Freunde wie Widersacher, Verehrer wie Verächter – gleichermaßen in seinem Ruhme, als wäre es nie anders gewesen. Ins Kondolenzbuch am Rathaus trugen sich Zehntausende ein. Nur seine Gattin Rut (Hansen) aus dem anderen, skandinavischen Leben durfte an der Beerdigung am Waldfriedhof nicht teilnehmen, Brigitte Seebacher wünschte das so und setzte sich durch. So erinnerte sich noch zwanzig Jahre später einer von Brandts Söhnen, Matthias, voller unversiegter Empörung. Von 1992 bis zu ihrem Tode im Sommer 2006 habe seine Mutter die Ausladung von der Beerdigung Willy Brandts nicht verwunden. «Und ich werde nie verwinden», ließ er sich dann zitieren, «dass ich an diesem Tag bei der Beisetzung meines Vaters war – statt bei meiner Mutter.» Seine Mutter auszuladen und sich mit Kohl hinter den Sarg von Willy Brandt zu stellen, «dazu sind schlicht ungeheure Spezialtugenden erforderlich, oder? Dazu bedarf es einer speziellen seelischen Brutalität … die Frau ist das Grauen.» Soweit Matthias! Wie es im einzelnen war, bleibt letztlich offen. Egon Bahr hatte auf Wunsch des Kanzleramts den Part übernommen, mit Rut wegen der Beerdigung zu sprechen. Sie wisse, sie sei nicht die Witwe, sagte sie ihm, sie werde das Grab später aufsuchen, so erinnert er sich. Aber wie dem auch sei – als Sohn des Tragöden Willy Brandt, schrieb der Autor dieses Porträts, Alexander Gorkow, habe der Sohn Matthias sich für das andere Genre entschieden – das der Komödie.[ 14 ]
    In der Welt wurde vor allem an seinen – wortlosen – Kniefall am 7. Dezember 1970 vor der Getto-Gedenkstätte in Warschau erinnert. Er selber hatte später dazu nur bemerkt: «Unter der Last der jüngsten deutschen Geschichte tat ich, was Menschen tun, wenn die Worte versagen; so gedachte ich der Millionen Ermordeter.»[ 15 ] Die polnischen Medien manipulierten das Foto seinerzeit so, dass man Brandt nicht kniend sah – zu sehr widersprach es dem öffentlich verbreiteten Feindbild von den deutschen Revanchisten. Als Horst Ehmke Brandt fragte, ob ihm in Warschau bewusst gewesen sei, dass es sich um das jüdische Mahnmal handelte, erwiderte er ihm, das habe er «den Polen nicht ersparen können». Die bleibende Formulierung – bei allem Pathos – für diesen Moment fand Hermann Schreiber im Spiegel : «Dann kniet er, der das nicht nötig hat, da für alle, die es nötig haben, aber nicht da knien – weil sie es nicht wagen oder nicht können oder nicht wagen können.»[ 16 ]
    41 Prozent der Befragten in der Bundesrepublik hielten die Geste laut Umfragen für angemessen, 48 Prozent für übertrieben. Aber daran hat bei dem Trauerakt niemand erinnert.
    Ein «Übriggebliebener» sei er, hat Willy Brandt vier Jahre vor seinem Tod gesagt, als er sich an seine Weggefährten aus dem Exil erinnerte. Die Freunde aus dem Exil waren tot, die Lebensfreunde. In Deutschland gab es wenige, die er Freunde genannt hätte: Bahr, Ehmke, Koschnick, ihre Namen ließ er auf der Zunge zergehen, viele waren es gewiss nicht.
    Jetzt war Helmut Schmidt der letzte der Troika, der Wehner und Brandt überlebte. Respektiert war der Ex-Kanzler auch nach seinem Rücktritt, weltweit genoss er Reputation. Seine Bücher wurden gerne gelesen, nahezu jährlich veröffentlichte er ein neues. Aber das Echo hielt sich in Grenzen, wie für wohlverdiente Politiker üblich. Erst allmählich wurde Schmidt zur
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