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Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)

Titel: Willy Brandt und Helmut Schmidt: Geschichte einer schwierigen Freundschaft (German Edition)
Autoren: Gunter Hofmann
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ungewöhnlichen Eloge fort, konnte aus Schmidts Sicht ein Modell für Ost und West gleichermaßen sein, und sein Land könnte dabei eine Führungsrolle in Europa übernehmen – gemeinsam mit Frankreich.[ 22 ] Strategische Regierungskunst wollte der renommierte Historiker dem deutschen Kanzler bescheinigen.
    Helmut Schmidt fürchtete nichts so sehr, wie sich in Zweideutigkeiten zu verheddern. Auf die Frage, was er davon halte, wie Angela Merkel die europäische Krise managt, erwiderte er im Gespräch noch mit 93 Jahren lakonisch: Wenig! Über Kohl, den Kanzler des Abwartens und des Unklaren, hat er ähnlich geurteilt. Klarheit ist Pflicht!
    In einer schönen, scheinbar beiläufigen Rede anlässlich seines 70. Geburtstages beschrieb Brandt wiederum es als eine der Erfahrungen seines Lebens, «bei weitem nicht mehr so sicher» zu sein wie einst als junger Mann. Er glaube viel mehr an den Zweifel. Wir hätten «zwischen verschiedenen Wahrheiten zu wählen» und müssten uns im Verhältnis zu ihnen orientieren. Das war sein Vermächtnis.
    Skepsis gegenüber der einen Wahrheit, der reinen Lehre hegte Schmidt nicht minder. Aber ein öffentliches Bekenntnis zur Ambivalenz, zum Sowohl-als-auch, zum Zweifel wäre ihm als Bankrotterklärung vorgekommen. Allerdings haben sie damit auch den Blick auf sich selbst verstellt. Brandt galt als Cunctator, Schmidt als Dezisionist.
    Mir scheint, das Hamletsche an Schmidt und das Bismarcksche an Brandt geriet deshalb zu oft aus dem Blick.
    Ungleich ausgeprägter als Willy Brandt übernahm Schmidt die Rolle des moralischen Lehrmeisters, des politischen Volkspädagogen. Er wollte vorexerzieren, wie man lernt und was: Ein europäisches Deutschland, Zurückhaltung ohne Führungsallüren, und nicht vergessen, dass der Welt noch in tausend Jahren bewusst wäre, welchen Zivilisationsbruch zwischen 1933 und 1945 die Deutschen zu verantworten hätten. Er war der «normale» Deutsche, der gelernt hatte, und das wollte er sichtbar machen.
    Als Projektionsfläche eignete Helmut Schmidt sich aber auch noch aus einem anderen Grund. Mit der Rückkehr der «Nation», also der deutschen Einheit, die im 3. Oktober 1990 mündete, hatte die Geschichte einen Schlussstrich gezogen. Die Deutschen wollten nicht mit dem Kopf durch die Wand, sie wollten sich europäisch einbetten. Die Mehrheitsdeutschen hatten ihre Sache nicht schlecht gemacht, sie hatten einen Emigranten und Hitler-Widersacher zum Kanzler gewählt. Mit Brandt und Schmidt waren die Deutschen vollends zurückgekehrt in die Völkergemeinschaft.
    Gerade den Deutschen kam die Rolle zu, Stabilität und Gleichgewicht zu garantieren, Stabilität notfalls auch zwischen den Großen. Das Mitspracherecht in der Welt, das Brandt sich genommen hatte, nutzte auch er – kein kleines Kunststück.
    Unterschiedliche Temperamente, versuchte Brandt im Rückblick ihre Differenzen zu relativieren, hätten zu einem «wesentlichen Teil» die Meinungsverschiedenheiten bestimmt, tragisch hätten sie es nicht genommen. Betont staatsmännisch fiel die Bilanz des Autors aus, man spürt, er feilte am Doppelporträt: Verstanden hätten sie sich, jeder sich selbst und jeder den anderen, «als deutsche Patrioten in europäischer Verantwortung». Und dann Sätze, gehämmert und ein wenig gestelzt, als Vermächtnis gedacht: «Wir hatten immer das Gefühl, gemeinsam eine Menge bewirken zu können – für unser Land und für unsere Partei. Der deutschen Sozialdemokratie hatten wir uns aus recht unterschiedlichen Richtungen verschrieben. Wir blieben ihr auf unterschiedliche Weise verbunden – doch mit der gleichen inneren Verpflichtung.»[ 23 ]
    Letztlich, wollte Brandt einfach sagen, hat es geklappt, sie setzten Prioritäten, die alles andere dominierten.
    Brandtianer und Schmidtianer   Willy Brandt war ihm näher, überlegt Gerhard Schröder, schon wegen seines Lebenshintergrundes, aber auch, weil er junge Leute wie ihn unbedingt in seine Partei holen wollte. Er hat uns politisiert, bekennt der Kanzler a. D. Wir hätten auch konservativ werden können, oder unpolitisch, aber da war Brandt, der uns anzog.
    Im Jahr 1980, als er als Abgeordneter nach Bonn kam, stand für ihn fest, wen er verteidigen wollte: Immer, wenn der amtierende Kanzler, Schmidt, in der Fraktion süffisante Bemerkungen über die Partei und ihren laxen Vorsitzenden machte, der alles so treiben lasse, habe er sich gemeldet und «Willy» verteidigt, «der das nicht nötig hatte, aber gerne geschehen ließ,
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