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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis
Autoren: Jules Verne
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herum, um ja nichts aus den Augen zu verlieren.
    Aller Blicke waren auf den Toten gerichtet. Er lag auf der linken Seite da, mit blutbefleckten Kleidern; sein Gesicht war farblos, die rechte Hand hielt immer noch die Waffe des Leutnants umklammert, der rechte Arm war leicht gebeugt. So war denn Wilhelm Storitz für das Grab bestimmt und seine verderbliche Macht hatte ihn davor nicht zu retten vermocht.
    »Ja, er ist es!« sagte Herr Stepark leise, nachdem er ihn lange stumm betrachtet.
    Auch seine Leute näherten sich, aber vorsichtig; auch sie erkannten ihn. Um die Erkenntnis der Augen durch diejenige des Tastsinnes zu unterstützen, befühlte Herr Stepark den Leichnam vom Kopfe bis zu den Füßen.
    »Tot… ganz tot!« sagte er, als er sich aufrichtete.
    Er gab einen kurzen Befehl und ein Dutzend seiner Leute machten sich daran, den Schutt von dem Platze wegzuschaffen, an der Stelle, wo derselbe vor Storitz’ Ende so eigentümliche Bewegungen vollführt hatte.
    »Aus dem belauschten Gespräche – wandte sich Herr Stepark zu mir, als Antwort auf meine Frage – weiß ich, daß hier das Versteck liegen muß, in dem der Schurke seine Vorräte verborgen hielt mit denen er uns Trotz zu bieten wagte. Ich werde diesen Platz nicht verlassen, ehe ich das Versteck nicht gefunden und seinen unheimlichen Inhalt zerstört habe! Storitz ist tot. Und wenn die gesamte Wissenschaft mich verdammen sollte, ich lasse sein Geheimnis mit ihm sterben!«
    Ich konnte Herrn Stepark in meinem Innersten nur recht geben. Otto Storitz’ Entdeckung war wohl imstande, mein Interesse als Ingenieur wachzurufen, aber ich konnte ihre praktische, nützliche Seite nicht erkennen, sondern fand, daß sie nur die niedrigsten Leidenschaften der Menschen begünstigte.
    Bald hatte man eine eiserne Platte vor sich. Man hob sie auf und die ersten Stufen einer engen, steinernen Treppe kamen zum Vorschein.
    Da fühlte ich meine Hand erfaßt, während eine klägliche Stimme laut wurde:
    »Erbarmen!… Gnade!…« wimmerte sie.
    Ich blickte um mich, sah aber niemanden neben mir. Aber meine Hand war noch immer fest gehalten und die flehende Stimme ließ sich noch immer hören. Die Männer hatten ihre Arbeit unterbrochen. Alle blickten zu mir; in meiner leicht begreiflichen Aufregung streckte ich meine frei gebliebene Hand aus, um den zunächst um mich liegenden Raum zu erforschen.
    In der Höhe meiner Körpermitte begegnete ich zunächst Haaren und weiter unten ein in Tränen gebadetes Gesicht. Vor mir kniete ein weinender Mensch, den ich nicht sehen konnte.
    »Wer sind Sie? stammelte ich, denn die Aufregung preßte mir die Kehle zusammen.
    – Hermann, antwortete man.
    – Was wollen Sie?«
    In abgehackten Sätzen sagte mir Storitz’ Diener, daß er die Zerstörungspläne des Polizeichefs vernommen habe und daß er, falls dieselben ausgeführt würden, nie wieder seine menschliche Gestalt erlangen könne. Was sollte aus ihm werden, wenn er zu einer derartigen Existenz verdammt war? Er beschwor den Polizeichef, ihm zu erlauben, den Inhalt eines dieser Fläschchen zu sich zu nehmen, ehe sie vernichtet wurden.
    Herr Stepark gab seine Zustimmung, aber er ließ keine Vorsicht außeracht, da auch Hermann sich vor Gericht verantworten mußte. Auf seinen Befehl hielten vier kräftige Leute den Unsichtbaren fest.
    Herr Stepark und ich stiegen als erste die steile Treppe hinab; die vier Polizeileute mit dem gefangenen Hermann folgten.
    Einige Stufen führten uns in einen Keller, der durch das von der offenen Falltüre eindringende Licht nur spärlich erhellt wurde. Dort standen auf Regalen eine Reihe von Fläschchen, die mit Aufschriften Nr. 1 und Nr. 2 versehen waren.
    Hermann verlangte ungeduldig eines der letzteren und der Polizeichef reichte es ihm hin. Dann sahen wir zu unserem unbeschreiblichen Staunen – obwohl wir auf ein ähnliches Schauspiel vorbereitet waren – das Fläschchen einen Bogen durch die Luft beschreiben, dann sich neigen, immer mehr neigen, als ob ein Verdurstender es zum Munde führe und mit gierigen Zügen bis zur Neige leere.
    Und jetzt vollzog sich ein seltsames Wunder. In dem Maße, als er trank, schien er aus dem Nichts herauszutreten. Man sah zunächst eine leichte Nebelgestalt in dem im Keller herrschenden Halbdunkel erscheinen, dann festigten sich die Konturen allmählich und vor uns stand derselbe Mensch, welcher mir auf meinem ersten Abendspaziergang in Ragz gefolgt war.
    Auf ein Zeichen des Polizeichefs wurden sämtliche übrigen
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