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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis
Autoren: Jules Verne
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machte Markus den Vorschlag, mitzukommen. Hatte er mich verstanden? Ich weiß es nicht. Jedenfalls antwortete er keine Silbe.
    Die beiden Offiziere hatten schon den Kai erreicht, als ich aus dem Hause trat. Die wenigen Passanten betrachteten dieses Haus mit erschreckten, scheuen Blicken. Das war ja der Ort, von dem alles Unheil ausging, das Ragz in Todesangst versetzte.
    Als ich Leutnant Armgard und Hauptmann Haralan erreicht hatte, sah mich letzterer an, aber ich wäre nicht erstaunt gewesen, wenn man mir gesagt hätte, daß er mich gar nicht erkannt habe.
    »Kommen Sie mit uns, Herr Vidal? fragte Leutnant Armgard.
    – Ja, wohin gehen Sie?…«
    Er zuckte die Achseln. Wohin gingen sie?…
    Sie ließen sich wohl vom Zufall treiben und vielleicht war gerade der Zufall der sicherste Führer.
    Nach einigen Schritten blieb Hauptmann Haralan plötzlich stehen und fragte kurz:
    »Wie viel Uhr ist es?
    – Ein Viertel auf zehn«, antwortete sein Freund, nachdem er seine Uhr zu Rate gezogen.
    Wir schritten weiter.
    Ziellos gingen wir dahin, ohne ein Wort zu wechseln. Wir hatten den Magyar-Platz überschritten und waren die Milosch-Straße entlang gewandert, dann gingen wir unter den Arkaden um den Michaels-Platz herum. Manchmal blieb der Hauptmann wie angewurzelt stehen und fragte nach der Zeit. »Neun Uhr fünfundzwanzig Minuten, halb zehn, zwanzig Minuten vor zehn Uhr«, antwortete sein Kamerad. Nach erhaltener Auskunft ging Haralan unsicheren Schrittes weiter.
    Jetzt wandten wir uns nach links, gingen an der Kathedrale vorüber und nach kurzem Zögern schlug der Hauptmann die Bihar-Straße ein.
    Dieses vornehmste Viertel von Ragz war wie ausgestorben; man traf kaum einen Menschen auf der Straße, die Fenster der meisten Häuser waren fest verschlossen, es war wie ein allgemeiner Trauertag.
    Am Ende dieser Straße konnte man den Tököly-Wall in seiner ganzen Länge übersehen. Er lag ganz verlassen da, man floh ihn, seitdem das Haus Wilhelm Storitz’ zerstört war.
    Ich war neugierig, welche Richtung der Hauptmann wohl jetzt einschlagen würde; nach der oberen Stadt, dem Schlosse zu, oder gegen den Batthyány-Kai, der Donau zu?
    Wieder war er, wie unschlüssig, stehen geblieben. Dann kam die oft wiederholte Frage:
    »Wie viel Uhr ist es, Armgard?
    – Es fehlen noch zehn Minuten auf zehn Uhr, antwortete der Leutnant.
    – Dann ist es Zeit«, sagte Haralan und schritt rasch den Wall entlang.
    Wir kamen an dem Gitter des Hauses Storitz’ vorüber; der Hauptmann blickte nicht hin. Er schritt achtlos um die ganze Besitzung herum und blieb erst dort stehen, wo der Weg durch die hier ungefähr zwei und einen halben Meter hohe Umfassungsmauer vom Garten getrennt war.
    »Helft mir«, sagte er, indem er auf die Kante der Mauer wies.
    Dieses Wort schloß alle möglichen Erklärungen in sich. Jetzt verstand ich, welche Absicht Myras unglücklichen Bruder hierher getrieben hatte!
    Zehn Uhr! Das war ja die von Wilhelm Storitz festgesetzte Stunde, die Herr Stepark und ich aus dem erlauschten Gespräch erfahren hatten. Ich hatte dem Hauptmann auch diesen Teil des Gespräches mitgeteilt. Natürlich, jetzt, in diesem Augenblick, mußte dieses menschliche Ungeheuer hinter dieser Mauer bemüht sein, den Eingang zu dem Versteck freizulegen, das die Vorräte an unheimlichen Substanzen verbarg, von denen er einen so verbrecherischen Gebrauch machte.
    Wird es uns gelingen ihn bei seiner Arbeit zu überraschen? Es schien mir nicht sehr wahrscheinlich! Aber immerhin bot sich uns eine Gelegenheit, auf die wir kein zweites Mal rechnen konnten und die wir uns nicht entgehen lassen durften.
    Wir halfen uns gegenseitig, hatten in wenigen Minuten die Mauer überklettert und befanden uns im Innern des Gartens, in einer schmalen Allee, die durch dichtes Buschwerk abgegrenzt war. Weder Storitz noch sonst jemand hatte uns bemerken können.
    »Bleibt stehen!« befahl uns Hauptmann Haralan, schlich leise längs der Mauer dem Hause zu und war bald unseren Blicken entschwunden.
    Einen Augenblick lang blieben wir unbeweglich. dann trieb uns die Neugierde, auch auf Entdeckung auszugehen. Das Dickicht verbarg uns vor fremden Blicken und so huschten wir in gebeugter Stellung unter den tiefstehenden Zweigen hindurch und näherten uns mit unhörbaren Schritten dem Hause.
    Als wir den Rand des Gehölzes erreicht hatten, erblickten wir es. Ein etwa zwanzig Meter breiter offener Rain trennte uns davon. Wir drückten uns dicht an den Boden, hielten den Atem an und
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