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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis
Autoren: Jules Verne
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Verbrennung auf dem Hauptplatze oder, daß er in die Donau geworfen werde, deren Wellen ihn dann zum Schwarzen Meere tragen mochten.
    Eine volle Viertelstunde ertönte das Schreien und Rufen vor dem Hause, dann trat Stille ein.
    Hauptmann Haralan sagte uns, daß er sich ins Rathaus begeben wolle. Er wollte verlangen, daß Hermann augenblicklich verhört werde. Wir stimmten ihm bei und er verließ uns, von Leutnant Armgard begleitet.
    Ich blieb bei meinem Bruder. Welch bittere Stunden verbrachte ich mit ihm!… Er ließ sich nicht beruhigen und die stets anwachsende Aufregung erfüllte mich mit Angst und Schrecken. Ich fühlte, daß er sich mir entfremdete und befürchtete eine Krise, die er vielleicht nicht überleben konnte Er wollte mich nicht anhören. Er widersprach nicht, aber er verfolgte eine fixe Idee, er mußte fortgehen, um Myra zu finden.
    »Du wirst mich begleiten, Heinrich«, sagte er.
    Ich konnte von ihm nichts erreichen als das Versprechen, erst die Rückkehr Haralans abzuwarten. Dieser kam mit seinem Freunde erst gegen vier Uhr zurück. Sie brachten die denkbar schlechtesten Nachrichten. Ein Verhör hatte stattgefunden aber es blieb ohne den gehofften Erfolg. Herr Stepark und der Gouverneur hatten Hermann gebeten. bedroht, beschworen… Man hatte Storitz’ Diener ein Vermögen angeboten, man hatte mit den schärfsten Strafen gedroht, falls er sich weigere, zu sprechen. Man hatte nichts damit erreicht. Hermann hatte nicht einen Augenblick in seinen Antworten geschwankt. Er wußte nicht, wo Myra sich aufhielt. Auch die Entführung war ihm unbekannt, sein Herr hatte ihn in seine Absichten nicht eingeweiht.
    Nach dreistündigen vergeblichen Anstrengungen mußte man auf weitere Versuche verzichten. Hermann sprach die Wahrheit. Seine Unwissenheit war nicht geheuchelt. Jetzt war der letzte Hoffnungsstrahl für uns erloschen.
    Das war ein trüber Abend, der uns vereinte. In die Stuhle gesunken, todestraurig, mutlos, ließen wir schweigend die Minuten verrinnen Wir wußten nichts mehr zu sagen, was nicht schon hundertmal gesagt worden war.
    Vor acht Uhr brachte der Diener die Lampen. Dr. Roderich weilte bei seiner Frau; im Salon waren nur die zwei Offiziere, Markus und ich anwesend. Der Diener ging wieder hinaus und von der Wanduhr tönten acht Glockenschläge.
    In diesem Augenblick wurde die Türe der Galerie ziemlich rasch geöffnet. Wahrscheinlich hatte sie ein vom Garten kommender Luftstrom aufgestoßen, denn ich sah niemanden. Aber es war merkwürdig, daß sie sich von selbst wieder schloß…
    Und letzt – nein, so lange ich lebe, werde ich diesen Auftritt nicht vergessen! – hörten wir eine Stimme… Nicht wie beim Verlobungsfest die rauhe Stimme, die uns mit dem »Lied vom Hasse« verhöhnte – nein, eine frische, fröhliche Stimme, eine Stimme, die uns allen lieb und teuer war: – die Stimme unserer Myra!…
    »Markus, sagte sie, und Sie, Herr Heinrich, und Du, Haralan, was macht Ihr jetzt im Salon? Es ist Zeit, zu Tisch zu gehen, ich habe großen Hunger.«
    Es war Myra, unsere Myra, welche ihr volles Bewußtsein wieder erlangt hatte; Myra war wieder gesund!… Es schien, als sei sie, wie früher täglich, aus ihrem Zimmer herabgekommen. Es war Myra, welche uns sah und die wir nicht sehen konnten!… Myra war unsichtbar!…
    Niemals noch hatten so einfache Worte eine so furchtbare Wirkung gehabt! Bestürzt, starr, saßen wir da, wie auf unsere Stühle festgenagelt; wir wagten uns nicht zu rühren, zu sprechen, und der Stelle zu nähern, von welcher die Stimme zu kommen schien. Und doch stand Myra dort, lebend, gesund und – wir wußten es bestimmt – greifbar trotz ihrer Unsichtbarkeit….
    Von woher kam sie?… War sie aus dem Hause entflohen, wohin sie von dem Räuber gebracht worden war?… Und wie hatte sie fliehen, durch die Stadt eilen, in das Haus kommen können?… Die Türen waren ja alle verschlossen und niemand hatte dieselben für sie geöffnet….
    Nein, so verhielt es sich nicht; – die Erklärung ihres plötzlichen Erscheinens wurde uns gar bald klar. – Myra kam aus ihrem Zimmer, wo Wilhelm Storitz sie unsichtbar gemacht und auf ihrem Bette gelassen hatte. Sie hatte niemals ihr Lager verlassen, während wir sie von uns weit entfernt glaubten. Unbeweglich, stumm, bewußtlos war sie während vierundzwanzig Stunden in ihrem Zimmer gelegen und keinem von uns war der Gedanke gekommen, daß sie noch in ihrem Bette sein konnte. Mit welchem Rechte hätten wir das vermuten
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