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Wilhelm Storitz' Geheimnis

Wilhelm Storitz' Geheimnis

Titel: Wilhelm Storitz' Geheimnis
Autoren: Jules Verne
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Fläschchen augenblicklich zerstört und die Flüssigkeiten verflüchtigten sich ungemein rasch. Nach beendigter Exekution stiegen wir wieder ans Tageslicht.
    »Was gedenken Sie jetzt zu tun, Herr Stepark, erkundigte sich Leutnant Armgard.
    – Ich werde den Toten ins Rathaus bringen lassen, lautete die Antwort.
    – Öffentlich?
    – Öffentlich, sagte der Polizeichef. Ganz Ragz muß überzeugt werden. daß Wilhelm Storitz wirklich tot ist. Man wird es erst glauben, wenn man seinen Leichnam gesehen hat.
    – Und nach der Beerdigung? fragte Armgard.
    – Wenn man ihn beerdigt…, sagte Herr Stepark.
    – Wenn man ihn beerdigt?… fragte ich.
    – Ja, erklärte Herr Stepark, denn ich bin der Ansicht, man sollte den Toten verbrennen und die Asche in alle Winde zerstreuen, wie es im Mittelalter Brauch war.«
    Er ließ eine Tragbahre kommen und ging mit einem großen Teil seiner Leute fort; der Gefangene, welcher ein sehr unbedeutender Mensch geworden war, nachdem er nicht mehr unsichtbar war, wurde mitgenommen. Leutnant Armgard und ich eilten dem Hause des Doktors zu.
    Wir fanden Hauptmann Haralan bei seinem Vater; er hatte diesem alles erzählt. Frau Roderich wußte von nichts. Es war bei ihrem bedenklichen Zustand besser, sie erfuhr nichts vom Tode Wilhelm Storitz’, nachdem ihr die Tochter dadurch nicht wiedergegeben wurde.
    Auch mein Bruder wußte noch nichts. Aber ihm waren wir Mitteilungen schuldig, deshalb ließen wir ihm sagen, daß er im Arbeitszimmer erwartet wurde.
    Er nahm die Neuigkeit nicht mit dem Gefühle der Befriedigung gestillter Vergeltung auf, sondern brach vielmehr in Schluchzen aus und rief ganz verzweifelt:
    »Er ist tot!… Sie haben ihn getötet!… Und er ist gestorben, ohne zu sprechen!… Myra!… Meine arme Myra!… Jetzt werde ich sie nie wiedersehen!…«
    Was sollten wir auf diesen Schmerzensausbruch entgegnen?…
     

    Als er trank, schien er aus dem Nichts herauszutreten. (S. 198.)
     
    Trotzdem wagte ich den Versuch. Nein, noch war Hoffnung vorhanden! Wir wußten allerdings nicht, wo Myra war, aber jemand wußte es, Hermann, Storitz’ Diener. Und dieser Mann saß hinter Schloß und Riegel fest. Ihn würde man ausfragen und da ihn nicht dasselbe Interesse zum Schweigen bewog, als Wilhelm Storitz, würde er ihren Aufenthaltsort sicher verraten… Man würde ihn eventuell dazu zwingen, und wenn man ein Vermögen opfern müßte!… Man wurde ihn im Notfalle auf die Folter spannen, um ihn zum Reden zu bringen… Myra würde sicher ihrer Familie, ihrem Gatten zurückgegeben werden, und die vereinten Bemühungen von Pflege, Zärtlichkeit und Liebe würden auch ihren kranken Geist heilen….
     

    Es war Myra, welche uns sah. (S. 204.)
    Markus hörte gar nicht zu. Er wollte nicht hören. Er blieb bei seinem Glauben, daß der einzige, welcher sprechen konnte, tot war. Er durfte nicht getötet werden, ehe er sein Geheimnis nicht preisgegeben hatte.
    Ich war ratlos, wie ich meinen Bruder besänftigen sollte, als unser Gespräch durch einen von der Straße hereindringenden Lärm unterbrochen wurde. Wir eilten an das Eckfenster, durch das man den Wall und den Batthyány-Kai übersehen konnte.
    Was gab es denn schon wieder?… In unserer momentanen Geistesverfassung hätte uns wohl nichts mehr überrascht, selbst die Auferstehung Wilhelm Storitz’ nicht!
    Aber es handelte sich jetzt nur um seinen Leichenzug. Vier Polizeileute, welche von einer starken Eskorte begleitet wurden, trugen die Bahre mit dem Leichnam. Jetzt konnte ganz Ragz sehen, daß Wilhelm Storitz wirklich tot war und die Schreckensperiode ein Ende erreicht hatte.
    Herr Stepark wollte den Toten überall zeigen. Die Bahre wurde durch den Batthyány-Kai bis zur Stephans-Straße getragen und sollte von da über den Koloman-Markt und durch die belebtesten Stadtviertel zum Rathaus gebracht werden.
    Meiner Meinung nach hätte Herr Stepark klüger getan, den Zug nicht vor dem Hause des Doktors vorübergehen zu lassen.
    Mein Bruder stand mit uns am Fenster. Er stieß einen Schrei der Verzweiflung aus beim Anblicke des blutüberströmten Körpers, welchem er nur zu willig wieder Leben eingeflößt hätte, selbst um den Preis des eigenen Lebens.
    Die Volksmenge erging sich in lärmenden Demonstrationen. Der lebende Wilhelm Storitz wäre zerrissen worden; seinen Leichnam verschonte man. Aber Herr Stepark hatte recht geraten, das Volk würde niemals zu einer Beisetzung in geweihter Erde seine Zustimmung geben. Es verlangte die öffentliche
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