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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood
Autoren: Colin Meloy
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Strömen regnete und alle Kinder ihre Kostüme dementsprechend anpassen mussten. Der November leitete dann einen ungewöhnlich schönen Spätherbst ein; der Regen hörte auf, und die Familie McKeel wählte einen
besonders sonnigen Samstag, um zu einem der Bauernhöfe auf der Insel Sauvie zu fahren und dort ein paar Kürbisse für den geplanten Thanksgiving-Nachtisch zu besorgen. Prue schlenderte über die Apfelplantage in der Nähe des Bauernmarktes, während ihre Eltern von Stand zu Stand gingen und sich dabei stritten, wer den besten Blick für Kürbisse habe. Mac, der inzwischen ohne fremde Hilfe laufen konnte, tapste zwischen den Picknicktischen auf der Wiese herum.
    Da fiel Prue eine kleine Gruppe ins Auge, die auf dem Weg zum Parkplatz war: ein Ehepaar mittleren Alters mit seinen zwei Kindern, beides Mädchen. Prue erkannte sie sofort als die Mehlbergs, Curtis’ Familie.
    Ohne groß nachzudenken ging sie auf sie zu. »Herr Mehlberg«, hörte sie sich sagen, »Frau Mehlberg.«
    Das Paar blickte auf. Die beiden Mädchen, eines älter, eines jünger als Prue, starrten sie an.
    »Ja?«, fragte die Frau.
    Jetzt erst entdeckte Prue die Traurigkeit in ihren Mienen; ja, es war ein solcher Kummer, der über der gesamten Familie zu schweben schien wie eine dunkle Wolke. Prue legte ihre Hand auf Frau Mehlbergs Arm.
    »Ich war eine Freundin von Curtis«, sagte sie.
    Das Gesicht der Frau erhellte sich. »Aus der Schule? Wie heißt du denn?«

    »Prue McKeel. Ich kenne ihn – ich meine, ich kannte ihn ganz gut. Es …« Prue stockte. »Es tut mir sehr leid.«
    Das Gesicht der Frau wurde wieder fahl. »Danke, Liebes«, sagte sie. »Das ist sehr nett von dir.«
    Nachdenklich biss Prue sich auf die Unterlippe. Schließlich fuhr sie fort: »Ich wollte Ihnen nur sagen, dass … also, ich glaube, dass er an einem besseren Ort ist. Und dass er, wo immer er auch sein mag, glücklich ist. Wirklich glücklich.«
    Alle vier Mehlbergs sahen Prue einen Moment lang an, dann erwiderte Herr Mehlberg: »Danke. Das glauben wir auch. Es war sehr nett, dich kennenzulernen, Prue McKeel.« Er öffnete die Fahrerseite des Wagens und stieg ein. Der Rest der Familie folgte ihm. Nur eines der Mädchen, das jüngere, blieb kurz in der offenen Autotür stehen und blinzelte zu Prue hoch. »Grüß ihn von mir«, bat sie.
    Verdutzt sagte Prue: »Das mache ich«, und blickte dem Wagen nach, als er vom Parkplatz auf die Straße fuhr.
    Als die McKeels zu Hause ankamen, war ihr Kofferraum bis oben hin gefüllt mit Kürbissen aller Größen und Formen, und sie mussten mehrmals laufen, um ihre Ausbeute in die Küche zu schleppen. Es wurde schon spät, und Mac war bereits ganz quengelig vor Müdigkeit. Prues Mutter wurde nervös.
    »Prue«, sagte sie, »kannst du den Kleinen bitte ins Bett bringen? Wir müssen anfangen zu backen, wenn die Kuchen rechtzeitig fertig werden sollen.«

    »Aber klar«, erwiderte Prue, immer noch ziemlich mitgenommen von der Begegnung mit den Mehlbergs. Nachdem Mac von seinen Eltern ausgiebig geküsst und umarmt worden war, schnappte Prue sich ihren kleinen Bruder und trug ihn nach oben, ohne sich um sein müdes Quengeln zu kümmern. Sie steckte ihn in seinen Schlafanzug, setzte ihn in sein Gitterbettchen und drückte ihm seinen Stoffuhu in den Arm. Dann gab sie ihm einen Kuss auf den kahlen Kopf, ging zur Tür und machte das Licht aus. »Gute Nacht, Macky«, sagte sie.
    Doch kaum war sie auf dem Flur, als sie das klägliche Flehen des Kleinen hörte: »Puuuh! Puuuh!«
    Seufzend blieb sie stehen und verdrehte die Augen. Sie lief zurück zu seinem Zimmer und streckte den Kopf zur Tür hinein. »Was ist denn?«
    Mac brabbelte etwas zur Antwort.
    »Kannst du nicht schlafen? Noch nicht müde? Was hast du?«
    Noch ein Glucksen.
    »Du willst eine Geschichte hören, stimmt’s?«
    Macs Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Puuuuh!«, krähte er glücklich.
    Prue gab nach. »Also gut.« Sie holte ihn aus seinem Bettchen. »Aber nur eine.«
    Sie nahm ihn mit zu dem Schaukelstuhl in der Ecke. Und da saßen sie dann, Bruder und Schwester. Mac kuschelte sich in ihren Arm,
und Prue sah aus dem Fenster, als zauberte sie die Geschichte aus der Luft. Schließlich begann sie.
    »Es war einmal«, erzählte sie leise, »ein Bruder, der hatte eine große Schwester.« Nach einer kurzen Pause fuhr sie fort. »Doch noch früher gab es einen Mann und eine Frau, die wohnten hier in St. Johns, und mehr als alles andere wünschten sie sich eine Familie.
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