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Wildwood

Wildwood

Titel: Wildwood
Autoren: Colin Meloy
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die kostbare Fracht beim untersten Zweig angekommen war, krümmte er sich erneut in weitem Bogen über den Platz hinweg und legte das Kind sanft im Schoß seiner Schwester ab.
    Prue schlang die Arme um ihren Bruder und drückte ihn fest an ihre Brust. »Mac!«, rief sie. »Ich hab dich!«
    Das Kind erkannte ihre Stimme, hörte auf zu weinen und starrte sie an. »Puuuuuh!«, machte es schließlich.
    Tränen strömten über Prues Gesicht, als sie die weiche Haut seiner Stirn wieder und wieder küsste. Fröhlich vor sich hin brabbelnd lag Mac in ihren Armen.

    Diese Ruhe dauerte nicht lange an; ein lautes Stöhnen erklang auf der anderen Seite der Lichtung. »Brendan!«, rief Prue. Sie rannte zu ihrem Freund, der über zwei Stufen der Steintreppe ausgestreckt dalag. Der Verband, den ihm der andere Räuber gemacht hatte, hing nur noch locker auf seiner Schulter, und man sah deutlich, dass die Wunde durch das Spannen und Abschießen des Bogens neu aufgebrochen war. Brendans Lider waren geschlossen, doch Prue konnte die Augäpfel unter der dünnen Haut kreisen sehen, als suchte er in der Dunkelheit seiner Bewusstlosigkeit verzweifelt nach etwas.
    »Hilfe!«, rief sie. »Der König braucht Hilfe!«
    Ein Wirbel grauer und brauner Vögel breitete sich kreisend über der mittleren Ebene der Basilika aus, und der Boden war übersät von Waffen und gefallenen Soldaten. Die überlebenden Freischärler und die schier endlose Flut an gefiederten Helfern jagten die letzten Verbliebenen der besiegten Armee vor sich her; die Kojoten flohen auf allen vieren und warfen den groben Stoff ihrer Uniformen im Laufen ab. Der südliche Kamm über der Lichtung qualmte immer noch vom Artilleriefeuer, und dichte Rauchschwaden hingen über den Ruinen. Da hörte Prue jemanden hinter sich; es war die Älteste Mystikerin.
    »Lass mich mal sehen«, sagte sie mit ruhiger Stimme. Sie kniete sich neben Brendan und untersuchte seine Verletzung. »Mhm«, machte sie. »Viel Blut verloren, etwas Fleisch – es könnte sich entzünden.« Sie hob den König leicht an der Schulter hoch und sah auf
dem Rücken nach. »Eine Austrittswunde – glatter Durchschuss. Das ist gut. Hier.« Sie riss einen langen Stoffstreifen vom Saum ihres Gewandes ab und drückte ihn auf Brendans Schulter. Der Schmerz weckte ihn aus seiner Ohnmacht. Er schlug die Augen auf und wollte nach seiner Schulter greifen, doch Iphigenia hielt ihn fest. »Ruhig, König«, sagte sie. »Du hast dich verletzt. Nicht ernsthaft, aber den Bogenschützen hättest du eigentlich lieber nicht spielen sollen.«
    Auf der Treppe ertönten Schritte; umringt von mehreren Freischärlern sprang Curtis die Stufen hinauf. »Prue!«, rief er. »Prue! Du glaubst nicht, was passiert ist. Es ist alles so …« Er blieb wie angewurzelt stehen und starrte das Kind auf Prues Arm an. Ein breites Grinsen erschien auf seinem Gesicht. »Mac«, sagte er. »Du hast ihn.«
    »Ja.« Prue strahlte. »Ich hab ihn.«
    Curtis wollte sie schon umarmen, wurde aber vom Anblick des Räuberkönigs abgelenkt. »Brendan! Wie geht es ihm? Ist alles in Ordnung? Was ist geschehen?«
    Iphigenia war gerade dabei, etwas Stoff um die Schulter des Verletzten zu wickeln. »Er wird wieder gesund«, sagte sie. »Könnte sein, dass er ein Weilchen flachliegt – so bald wird er keine Posttransporte mehr ausrauben, aber mit der Zeit wird die Wunde heilen. Wichtig ist, dass wir ihn rasch zu den Wohnwagen bringen. Dort sind Leute, die ihn versorgen können.«
    Sofort rannten einige Freischärler los, halfen Brendan gemeinsam auf und stützten ihn auf dem Weg zum Kamm oberhalb der Basilika.
    Die Mystikerin wischte sich die Hände an ihrem Gewand ab, während Curtis sich neben Prue auf die oberste Stufe setzte und das Kind betrachtete. Seine Stirn war gerunzelt, als grübelte er über ein schwieriges Rätsel.
    »Puuuuh!«, machte der Kleine.
    »Ich kann es nicht fassen«, sagte Curtis leise. »Wir haben es geschafft.« Er streckte die Arme aus, und Prue reichte ihm lächelnd ihren Bruder. Curtis ließ Mac auf seinem Knie hopsen, und der Kleine quietschte glücklich.
    Prue sah Iphigenia von der Seite an. »Das war toll«, sagte sie. »Wirklich unglaublich. Wenn du den Baum nicht überredet hättest, ihn zu retten – wer weiß, was passiert wäre?«
    Iphigenia nickte nachdenklich. »Das stimmt.« Sie verlagerte ihr Gewicht und ergänzte: »Aber ich war das nicht.«
    Prue machte ein verständnisloses Gesicht.
    »Das ist mir gar nicht eingefallen. Ich war
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