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Wildes Herz

Wildes Herz

Titel: Wildes Herz
Autoren: Leonie Britt Harper
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erwiderte sie zornig. Für einen Moment vergaß sie ihre eigenen Ängste. »Es geht allein um die Pacht, Mutter! Nur ums Geld geht es! Und wir haben nicht einmal einen halben Shilling. Geschweige denn die vielen Pfund, die wir im Rückstand sind!«
    »Bete mit mir!«, befahl Catherine Sullivan.
    Trotzig presste Éanna die Lippen zusammen. Noch vor wenigen Monaten hätte sie nicht gewagt, den Befehl ihrer Mutter zu verweigern, doch der Hunger hatte alles geändert.
    »... jetzt und in der Stunde unseres Todes.«
    Catherine ließ den Rosenkranz sinken. Es war so weit. Der Hufschlag von mehreren Pferden und das Klirren von Waffen waren zu vernehmen. Die Geräusche wurden rasch lauter. Die Männer kamen die Straße hoch zur letzten Hütte am Ende des gewundenen Weges, der von der Landstraße zum Dorf abzweigte. Zur Kate der Sullivans.
    »Catherine Sullivan«, ertönte die Reibeisenstimme von Henry Burke. »Im Namen von Esquire Russell, komm raus mit deiner Tochter! Auf der Stelle raus da, oder ich lasse euch die dreckige Hütte über dem Kopf anstecken!« Einem seiner Begleiter rief er herrisch zu: »Hugh, reiß Reet vom Dach und mach eine Fackel daraus! Ich werde nicht lange bitten. Wir haben heute noch mehr zu erledigen!«
    »Vielleicht wäre es besser, für uns zu bleiben«, flüsterte Catherine.
    Éanna sprang auf. »Wie kannst du so etwas sagen, Mutter?«, keuchte sie. »Ich will nicht sterben! Und schon gar nicht bei lebendigem Leib verbrennen! Dann lieber verhungern!« Sie holte tief Luft und beugte sich zu Catherine herunter. »Jetzt komm endlich. Es hat doch keinen Zweck mehr!«
    Damit packte sie den kleinen Beutel, der alles enthielt, was ihnen noch geblieben war: zwei Holzschüsseln, zwei hölzerne Löffel, die der Großvater geschnitzt hatte, zwei verbeulte Blechbecher, ein einfaches Messer, zwei gestrickte Wollmützen, eine löchrige Decke, drei Talgstummel, ein Stofffetzen mit drei Nähnadeln sowie Feuerstein, Schlagstahl und Zunder. Alles andere war längst den Weg zum Pfandleiher in Waterford gegangen. Sogar die Stiefel, den Gürtel und den Mantel des Vaters hatten sie versetzen müssen. Essen befand sich nicht im Sack. Nicht einmal ein Krümel.
    Catherine fasste sich. »Du hast recht«, murmelte sie beschämt und stand auf. »Ich komme ja schon.«
    Éanna war vor ihr an der Tür, klappte den Holzriegel hoch und stieß die Tür auf. Im ersten Moment war sie vom hellen Sonnenschein geblendet. Sie legte eine Hand über die Augen und blinzelte ins Licht.
    »Wurde ja auch Zeit!«, knurrte Henry Burke ungnädig.
    Der Verwalter von Francis Bland Russell, Engländer wie sein Herr, saß auf einer kräftigen Rotfuchsstute. Auf sein breites Kreuz hätte man eine ganze Ochsenseite legen können, ohne dass etwas von ihr seitlich hervorgeschaut hätte. Sein grobschlächtiges Gesicht war von einem dichten Vollbart umgeben. Er hielt eine Reitgerte in der Rechten und schlug sie ungeduldig auf sein Sattelhorn.
    Begleitet wurde der Gutsverwalter von drei Knechten und einer sechsköpfigen Eskorte der verhassten Rotröcke. Die englischen Soldaten in ihren roten Uniformen und hohen Mützen waren mit Gewehren und Säbeln bewaffnet, als ginge es in eine Schlacht und nicht gegen wehrlose, halb verhungerte Bauern. Der kalte Stahl der aufgesteckten Bayonette funkelte wie eine stumme Drohung im Sonnenlicht. Verachtung stand in ihren verschlossenen Gesichtern.
    Catherine fiel vor dem Verwalter auf die Knie. »Ich flehe Euch an, lasst uns bleiben, Master Burke! Wenigstens noch über den Winter!«, bettelte sie.
    Éanna musste an sich halten, als sie sah, wie sich ihre Mutter erniedrigte. Ihn mit Master anzusprechen, obwohl er alles andere als ein solcher war, mochte ihm vielleicht schmeicheln. Aber erweichen würde sie ihn damit noch lange nicht.
    »Hast du die Pacht?«, fragte Henry Burke barsch. Er wusste sehr wohl, wie überflüssig die Frage war.
    »Woher sollten wir das Geld nehmen, Master?«, fragte Catherine leise und rang verzweifelt die Hände. »Ihr wisst selber, wie entsetzlich wenig die letzte Ernte gebracht hat. Nicht einmal ein Siebtel des Üblichen. Nur für einen Monat hat es trotz Hungern gereicht. Und wo wir doch so gut wie kein Saatgut mehr hatten . . .«
    »Du hast die ausstehende Pacht also nicht!«, fiel der Verwalter ihr ins Wort.
    »Nein, Master Burke.«
    »Dann mach, dass du aus dem Weg kommst, Weib! Und lieg mir nicht mit euren verfluchten Kartoffeln in den Ohren!«, blaffte er. »Ihr seid selber schuld an
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