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Wildes Blut

Wildes Blut

Titel: Wildes Blut
Autoren: Rebecca Brandewyne
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Schnee hatten sie sich tagelang auf dem Land niedergelassen, und bevor sie gnädigerweise weitergezogen waren, hatten sie alles abgefressen, was dort wuchs. Das fruchtbare, blühende Land war danach wüst und kahl wie im Winter.
    Unter dem Gewicht der Insekten waren die Äste der Bäume, die man mit so viel Aufwand für soviel Geld in den Westen gebracht hatte, abgebrochen, die Maispflanzen geknickt und das Präriegras flach wie ein Pfannkuchen. Die Heuschrecken waren über die Wassermelonenfelder hergefallen, hatten sogar die harten Schalen gefressen, hatten in den Gärten Beet für Beet verschlungen und nur die papierenen Außenschalen der Zwiebeln übriggelassen, sich an den unreifen Früchten gemästet, bis nur noch die Kerne an den Obstbäumen hingen. Die Insekten hatten sich durch die Steppdecken, Laken, Mäntel und Schals gefressen und durch die Jutesäcke, mit denen die Menschen in ihrer Verzweiflung versucht hatten, ihre Feldfrüchte zu schützen.
    Sobald die gierigen Heuschrecken alles Grün vernichtet hatten, hatten sie sich auf andere Sachen gestürzt, auf Holz, Leder und Stoff. Sie hatten das weiche Pappelholz der Scheunen und Häuser attackiert, die grobbehauenen Pfosten der Zäune und die Fassaden von Läden und Saloons. Sie hatten die Griffe von Werkzeugen verzehrt, Zaumzeug und sogar das verschwitzte Leder der Sättel. Nach Sonnenuntergang hatten sie sich in die Häuser gegraben, die mageren Vorräte in Kellern und Fässern und Speisekammern vernichtet und die mühselig gestickten Vorhänge und die für teures Geld aus dem Osten transportierten Möbel vernichtet.
    India hatte hilflos mitangesehen, wie das Obst, das Gemüse und das Korn, die sie und ihr Mann mühsam im Frühjahr gepflanzt hatten, innerhalb von Stunden gefressen wurden. Voller Verzweiflung hatte sie an die monatelange Schwerstarbeit gedacht, mit der sie die Steine aus den Feldern geräumt und die Samen gesät hatten, von denen der Lebensunterhalt und die Zukunft ihrer Familie abhingen. Halb verrückt vor Sorge, hatte sie in dieser Nacht kein Auge zugetan und gelauscht, wie die Heuschrecken die Speisekammer und den Kartoffelkeller, die sie mit soviel Entbehrungen gefüllt hatte, vernichteten nebst des kostbaren Inhalts der Brauttruhe, die den ganzen Weg von Louisiana hierher überstanden hatte. Sogar vor dem Bett hatten sie nicht haltgemacht, in dem sie schluchzend und weinend gelegen hatte. Sie hatte ganz leise geweint, damit Jonathan und die Kinder sie nicht hörten. Und von diesem Augenblick an hatte India den Kampf gegen das Land aufgegeben, Mut und Hoffnung verloren.
    Jetzt stand sie an diesem Spätnachmittag des Altweibersommers vor dem kleinen Lehmhaus, viel zu dünn, zu blaß, unbeholfen von ihrer Schwangerschaft, viel älter aussehend als ihre vierunddreißig Jahre, und schaute hinaus auf die Wüste, die die Horden von Heuschrecken hinterlassen hatten. Eigentlich hätte sie sich in den Wochen seit der Invasion der Insekten an ihre verwüstete Umgebung gewöhnen müssen, aber India war immer noch fassungslos über das Ausmaß der Zerstörung. Irgendwie konnte sie nicht begreifen, daß die dürren Stoppeln, die das Land überzogen, so weit das Auge reichte, alles waren, was von ihrer Welt und ihren Träumen übriggeblieben war.
    Die unersättlichen Insekten waren zwar weg, aber der faulige Gestank war geblieben. Brunnen, Bäche und Teiche waren von ihren Exkrementen so verseucht, daß das Wasser weder für Mensch noch Tier trinkbar war. Die Hühner und Schweine und die wilden Vögel hatten sich mit den unerwarteten Insekten so vollgestopft, daß sie ungenießbar waren. Die Menschen ernährten sich vorwiegend von Maisbrot, Sauce und mit Sirup gesüßtem Kaffee. Männer mußten statt ihres gewohnten Tabaks Weinblätter rauchen.
    India seufzte erschöpft, als sie das letzte Stück der nassen, aber jetzt gottlob sauberen Wäsche aus der alten Waschwanne zog, die wackelig auf einer alten Transportkiste balancierte. Dann begann sie mit dem mühseligen Auswringen der Wäsche. Sie achtete darauf, daß das überschüssige Wasser wieder zurück in die Wanne lief, denn Wasser war in der Prärie rar und mußte Eimer für Eimer aus dem Brunnen geholt werden, der weit weg vom Lehmhaus lag. Trotzdem hatte der Wünschelrutengänger, der den Standort des Brunnens gesucht hatte, ihr und ihrem Mann versichert, sie könnten sich glücklich schätzen, daß er so nahe lag.
    Ihr Mann hatte den Indianermischling, den sie auf Rat ihrer Nachbarn
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