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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd
Autoren: Haruki Murakami
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ihn diese gewisse, schwer zu beschreibende Melancholie, die abgeschnittenen Penissen eigen ist.
    Dieser riesige Walpenis war es, der mir einfiel, nachdem ich zum ersten Mal mit einer Frau Geschlechtsverkehr gehabt hatte. Mir tat die Seele weh, wenn ich daran dachte, welches Schicksal ihn ereilt hatte und unter welchen Umständen er in den verlassenen Ausstellungsraum des Ozeanariums gekommen war. Diese Gedanken gaben mir ein Gefühl vollkommener Hilflosigkeit. Aber mit siebzehn war ich eindeutig zu jung, um an der Welt zu verzweifeln. Deshalb kam ich damals zu folgendem, bis heute gültigen Schluss: Ich bin kein Wal.
    Während ich mit meiner neuen Freundin im Bett lag und mit ihrem Haar spielte, musste ich ständig an den Wal denken.
    In meinen Erinnerungen an das Ozeanarium ist es immer Herbstende. Das Glas der Becken ist eiskalt, und ich habe einen dicken Pullover an. Das Meer, das man durch das große Fenster im Ausstellungsraum sehen kann, ist bleischwarz, und die unzähligen weißen Wellen erinnern an weiße Spitzenkragen auf Mädchenkleidern.
    »Woran denkst du?«, fragte sie.
    »An früher«, sagte ich.
    * * *
    Sie war einundzwanzig, hatte einen attraktiven, schlanken Körper und ein Paar makellose Ohren von fast magischer Anziehungskraft. Sie jobbte als Korrektorin in einem kleinen Verlag, war Ohren-Fachmodell für Werbefotos sowie Callgirl in einem exklusiven Privatclub. Ich wusste nicht, welcher von den dreien ihr Hauptberuf war. Sie auch nicht.
    Betrachtet man das Problem jedoch unter dem Gesichtspunkt, welcher Beruf ihrer eigentlichen Erscheinung entgegenkam, so wirkte sie als Ohren-Fachmodell am natürlichsten. Sie stimmte mir in dieser Einschätzung zu. Aufträge in diesem Spezialbereich sind jedoch äußerst begrenzt, und Status und Lohn als Modell sind erschreckend gering. Die meisten Agenten, Kameraleute, Kosmetikerinnen und Journalisten behandelten meine Freundin einfach als »die mit den Ohren«. Mit Ausnahme der Ohren wurden ihr Körper und ihr Geist vollkommen ignoriert.
    »Aber das stimmt nicht«, sagte sie. »Meine Ohren, das bin ich, und ich bin meine Ohren.«
    Als Korrektorin und als Callgirl zeigte sie ihre Ohren keinem Menschen, nicht einen einzigen Augenblick.
    »Weil ich dann nämlich nicht wirklich ich bin«, erklärte sie.
    Das Büro des Callgirl-Clubs (der unter dem Namen »Talentschuppen« lief) befand sich in Akasaka. Besitzerin war eine grauhaarige Engländerin, die von allen »Mrs. X« genannt wurde. Sie lebte schon seit dreißig Jahren in Japan, sprach fließend Japanisch und konnte fast alle wichtigen Schriftzeichen lesen.
    Nur fünfhundert Meter vom Club entfernt betrieb Mrs. X noch ein Damenseminar für englische Konversation, aus dem sie vielversprechende Mädchen als Callgirls rekrutierte. Umgekehrt nahmen auch einige der Girls Englischunterricht. Natürlich zu ermäßigten Gebühren.
    Mrs. X sprach alle Callgirls mit »Dear« an. Weich wie ein Frühlingsnachmittag, so klang ihr »Dear«.
    Etwa so: »Zieh dir ordentliche Spitzenunterwäsche an, Dear. Und Strümpfe, auf keinen Fall Strumpfhosen!« Oder: »Du trinkst deinen Tee doch mit Sahne, Dear, nicht wahr?« Ihre Kundschaft hatte sie fest im Griff, die meisten waren reiche Geschäftsleute in ihren Vierzigern und Fünfzigern. Zwei Drittel waren Ausländer, der Rest Japaner. Mrs. X hatte eine Abneigung gegen Politiker, Greise, Perverse und Mittellose.
    Meine neue Freundin sah von dem guten Dutzend Schönheiten im Callgirl-Club am unauffälligsten und durchschnittlichsten aus. Mit verdeckten Ohren machte sie in der Tat lediglich einen mittelmäßigen Eindruck auf andere Leute. Warum sie Mrs. X aufgefallen war und warum sie sie eingestellt hatte, war mir nicht ganz klar. Vielleicht, weil Mrs. X einen gewissen Glanz in ihrer Durchschnittlichkeit bemerkt hatte, oder auch, weil sie ganz einfach der Meinung war, dass ruhig ein durchschnittliches Mädchen mit in der Auswahl sein sollte. Wie auch immer, Mrs. X’ Rechnung ging auf, und meine Freundin hatte bald ebenfalls einige richtige Stammkunden. Sie trug durchschnittliche Kleidung, schminkte sich durchschnittlich, zog durchschnittliche Unterwäsche an, roch nach durchschnittlicher Seife und ging ein- oder zweimal pro Woche ins Hilton , ins Okura oder ins Prince , um mit einem Mann zu schlafen und damit so viel zu verdienen, dass sie einen Monat davon leben konnte.
    Die Hälfte der übrigen Abende verwandte sie dazu, kostenlos mit mir zu schlafen. Wie sie die andere Hälfte
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