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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd
Autoren: Haruki Murakami
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Bekanntschaft von früher. Jemand, den du nicht kennst.«
    »So?«
    Der Kater auf ihrem Schoß reckte sich ausgiebig und schnaufte.
    Ich schwieg und schaute auf die brennende Zigarettenspitze.
    »Todesursache?«
    »Autounfall. Dreizehn Knochenbrüche.«
    »Eine Frau?«
    »Ja, eine Frau.«
    Die Sieben-Uhr-Nachrichten und der Verkehrsbericht waren vorbei, im Radio lief wieder Softrock. Sie stellte ihre Kaffeetasse auf die Untertasse zurück und sah mir ins Gesicht.
    »Wenn ich sterben würde, würdest du dich dann auch so betrinken?«
    »Das Trinken hatte mit der Beerdigung gar nichts zu tun. Höchstens das erste Glas oder die ersten zwei.«
    Draußen fing gerade ein neuer Tag an. Ein neuer heißer Tag. Durch das Fenster über der Spüle sah ich die Gruppe von Hochhäusern. Heute glänzten sie noch greller als sonst.
    »Möchtest du was Kaltes trinken?«
    Sie schüttelte den Kopf.
    Ich holte mir eine gut gekühlte Dose Cola aus dem Kühlschrank und leerte sie in einem Zug.
    »Sie ging mit jedem ins Bett«, sagte ich. Welch ein Nachruf: Die Verstorbene war eine Frau, die mit jedem ins Bett ging.
    »Warum erzählst du mir das?«, sagte sie.
    Ich wusste selbst nicht, warum.
    »Jedenfalls ging sie mit jedem ins Bett, nicht wahr?«
    »Genau.«
    »Aber mit dir war’s was Besonderes.«
    Ihre Stimme klang irgendwie anders. Ich hob den Kopf von der Salatschüssel und sah ihr über die verwelkte Geranie ins Gesicht.
    »Glaubst du?«
    »Ja, irgendwie«, sagte sie leise. »Du bist so ein Typ.«
    »Was für ein Typ?«
    »Du hast so was. Wie eine Sanduhr. Wenn der Sand durchgelaufen ist, kommt mit Sicherheit jemand, der sie umdreht.«
    »Möglich wär’s.«
    Ihre Lippen öffneten sich eine Spur, dann schlossen sie sich wieder.
    »Ich wollte eigentlich nur den Rest meiner Sachen holen. Wintermantel, Hüte und so was. Ich hab’s in Kartons zusammengepackt. Bringst du sie bitte zum Paket-Service, wenn du mal Zeit hast?«
    »Ich bring sie bei dir vorbei.«
    Sie schüttelte still den Kopf.
    »Lass nur. Ich will nicht, dass du kommst. Das verstehst du doch, oder?«
    Sicher, sie hatte Recht. Ich rede zu viel dummes Zeug.
    »Meine Adresse hast du?«
    »Ja, hab ich.«
    »Das war alles. Entschuldige, dass ich so lange da war.«
    »Und der Schriftkram, war alles in Ordnung?«
    »Ja, alles erledigt.«
    »Das ging ja ruckzuck. Ich dachte, es gäb viel mehr zu tun.«
    »Das denken alle beim ersten Mal. Aber es ist wirklich ganz einfach. Wenn es vorbei ist«, sagte sie und kraulte dem Kater noch einmal den Kopf. »Bei der zweiten Scheidung ist man schon ein alter Hase.«
    Der Kater schloss die Augen, reckte sich einmal und legte dann sacht den Kopf auf ihren Arm. Ich stellte die Kaffeetassen und die Salatschüssel in die Spüle und kehrte mit einer Rechnung die Crackerkrümel zusammen. Vom Sonnenlicht pochten mir die Augen.
    »Die Kleinigkeiten stehen alle auf dem Zettel, den ich dir auf den Schreibtisch gelegt habe. Wo die Papiere sind, wann welcher Müll abgeholt wird und so was. Wenn du irgendwas nicht findest, kannst du mich ja anrufen.«
    »Danke.«
    »Hättest du gern Kinder gehabt?«
    »Nein«, sagte ich. »Kinder – nein.«
    »Ich hab lange überlegt und konnte mich einfach nicht entscheiden. Aber wie die Dinge sich entwickelt haben, war es vielleicht besser so. Oder glaubst du, es wäre anders gekommen, wenn wir Kinder gehabt hätten?«
    »Es gibt jede Menge Paare, die Kinder haben und sich trotzdem scheiden lassen.«
    »Ja, das stimmt«, sagte sie und spielte eine Zeit lang mit meinem Feuerzeug. »Ich liebe dich immer noch. Aber da liegt nicht das Problem. Das weiß ich selbst gut genug.«

2. SIE, IHRE FOTOS UND IHRE UNTERRÖCKE – ALLES VERSCHWINDET
    Als sie gegangen war, trank ich noch eine Cola, duschte heiß und rasierte mich. Seife, Shampoo, Rasiercreme – alles ging mir langsam, aber sicher aus.
    Ich stieg aus der Dusche, trocknete mir die Haare, trug Lotion auf und putzte mir die Ohren. Dann ging ich in die Küche und wärmte den übrig gebliebenen Kaffee auf. Jetzt saß niemand mehr mit mir am Tisch. Als ich den leeren Stuhl anstarrte, fühlte ich mich wie ein kleines Kind, das man in einer sonderbaren, unbekannten Gegend, an einem Ort wie aus einem Bild von de Chirico, alleine gelassen hatte. Aber ich war natürlich kein kleines Kind mehr. Ganz langsam schlürfte ich meinen Kaffee und dachte an gar nichts. Als ich ihn schließlich ausgetrunken hatte, saß ich noch eine Zeit lang gedankenverloren da. Dann zündete ich mir
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