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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd
Autoren: Haruki Murakami
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Tages nahm ich im Flugzeug ein. Die Maschine landete kurz in Haneda zwischen und hob dann wieder ab. Rechts glitzerte die ganze Zeit das Meer.
    Jay schälte wie immer Kartoffeln. Die Aushilfe, ein junges Mädchen, wechselte das Blumenwasser und wischte die Tische ab. In der Stadt war es noch herbstlich. Rot und gelb leuchtete der Berg, den man vom Fenster der Bar aus sah. Ich hockte mich an den guten alten Tresen und trank ein Bier. Mit einer Hand knackte ich Erdnüsse; die Schalen brachen mit einem angenehmen, frischen Knispern.
    »Ist gar nicht einfach, immer so frische Erdnüsse zu kriegen«, sagte Jay.
    »Tatsächlich?«, sagte ich, die Nüsse kauend.
    »Bist du wieder auf Urlaub?«
    »Ich hab gekündigt.«
    »Gekündigt?«
    »Lange Geschichte.«
    Jay wusch die geschälten Kartoffeln in einem großen Küchensieb und ließ sie abtropfen. »Was willst du nun machen?«
    »Keine Ahnung. Erst mal bekomme ich ja eine Abfindung plus ein bisschen für die Abtretung meines Anteils an der Agentur, wenn’s auch nicht viel ist. Außerdem habe ich noch das hier.«
    Ich zog den Scheck aus der Tasche und reichte ihn Jay, ohne auf den Betrag zu sehen. Jay sah ihn sich kopfschüttelnd an.
    »Wahnsinn, ein Vermögen – aber wenn du mich fragst: Es stinkt.«
    »Ganz recht: Es stinkt.«
    »Aber eine lange Geschichte, was?«
    Ich lachte. »Heb den Scheck für mich auf. Tu ihn in deinen Safe.«
    »Siehst du hier einen Safe?«
    »Dann leg ihn in die Kasse.«
    »Ich werd ihn in mein Bankfach legen«, sagte Jay beunruhigt. »Aber was willst du damit machen, Mensch?«
    »Die neue Bar hier hat doch eine Menge gekostet, Jay, oder?«
    »Kann man wohl sagen.«
    »Schulden?«
    »Natürlich.«
    »Würde der Scheck dafür reichen?«
    »Da krieg ich noch was raus. Aber …«
    »Wie wär’s? Dafür machst du Ratte und mich zu Teilhabern. Dividenden und Zinsen kannst du vergessen. Nur unsere Namen ins Register.«
    »Das kann ich nicht annehmen, unmöglich.«
    »Du kannst. Nur – wenn Ratte oder ich in Schwierigkeiten sind, können wir immer zu dir her.«
    »Das konntet ihr doch immer.«
    Mein Bier in der Hand, sah ich Jay fest an: »Ich weiß. Trotzdem.«
    Jay steckte den Scheck in seine Schürze und lachte. »Ich weiß noch genau, wie du das erste Mal besoffen warst. Wie lang ist das gleich her?«
    »Dreizehn Jahre.«
    »Dreizehn Jahre, mein Gott!«
    Jay erzählte über eine halbe Stunde von früher, etwas, was er selten tat. Als es langsam voll wurde in der Bar, stand ich auf. »Du bist doch gerade erst gekommen!«, sagte Jay.
    »Ein braver Junge hockt nicht bis nachts in der Kneipe«, sagte ich.
    »Hast du Ratte getroffen?«
    Ich stützte beide Arme auf den Tresen und atmete tief durch. »Ja, hab ich.«
    »Wieder eine lange Geschichte, was?«
    »So lang, wie du in deinem ganzen Leben noch keine gehört hast.«
    »Kannst du sie nicht kurz erzählen?«
    »Kurz macht sie keinen Sinn.«
    »Geht’s ihm gut?«
    »Ja. Er hat dich vermisst.«
    »Kommt er noch mal?«
    »Sicher. Schließlich ist er dein Teilhaber. Dieses Geld, Jay, haben Ratte und ich gemeinsam verdient.«
    »Das freut mich, wirklich.«
    Ich stieg von meinem Hocker und sah mich noch einmal in Ruhe um. Die gute alte Kneipe.
    »Ach, übrigens, als Teilhaber hätte ich gerne einen Flipper und eine Jukebox.«
    »Stehen schon so gut wie da«, sagte Jay.
    Ich ging den Fluss entlang bis zur Mündung, setzte mich an den Strand, die fünfzig Meter Sandstrand, die man verschont hatte, und weinte, zwei Stunden lang. Ich weinte, wie ich noch nie in meinem Leben geweint hatte. Nach zwei Stunden gelang es mir, wieder aufzustehen. Wohin, wusste ich nicht, aber ich stand jedenfalls auf, klopfte mir den Sand von der Hose und lief los.
    Es war stockduster, und hinter mir rauschten leise die Wellen.
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