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Wilde Schafsjagd

Wilde Schafsjagd

Titel: Wilde Schafsjagd
Autoren: Haruki Murakami
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beiläufig.
    »Ja«, erwiderte sie ebenso beiläufig.
    Wir hatten das Restaurant früher als erwartet erreicht und waren die ersten Gäste. Man dämpfte das Licht, und ein Kellner ging herum, um mit langen Zündhölzern die roten Kerzen auf den Tischen anzuzünden. Der Oberkellner inspizierte mit einer Art Heringsblick bis ins Kleinste die Anordnung der Servietten, des Bestecks und der Teller. Das im Fischgrätenmuster verlegte Eichenparkett war auf Hochglanz poliert. Angenehm klapperten darauf die Kellnerschuhe – Schuhe, die bedeutend teurer aussahen als meine. Die Blumen in den Vasen waren frisch, und an den weißen Wänden hing Modern Art – Gemälde, die man auf den ersten Blick als Originale erkennen konnte.
    Ich wählte aus der Weinkarte einen fruchtig-frischen Weißwein und bestellte als Hors d’œuvres Pâté de canard, Terrine de daurade und Foie de baudroie à crème fraîche . Sie entschied sich nach sorgfältigem Studium der Speisekarte für Potage à la tortue, Salade verte und Mousse de sole , ich bestellte Soupe d’oursin, Rôti de veau garnie de persil und Salade de tomates . Und sah mein Haushaltsgeld für einen halben Monat von dannen ziehen.
    »Ziemlich gutes Restaurant«, sagte sie. »Kommen Sie oft hierher?«
    »Nur geschäftlich von Zeit zu Zeit. Alleine gehe ich lieber in Kneipen. Ich esse dann beim Trinken, was gerade so angeboten wird. Das ist bequemer. Man braucht nicht lange zu überlegen.«
    »Was essen Sie denn so in Ihren Kneipen?«
    »Das ist verschieden, aber meistens Omelette und Sandwiches.«
    »Omelette und Sandwiches«, sagte sie. »Sie essen also jeden Tag in einer Kneipe Omelette und Sandwiches?«
    »Nicht jeden Tag. Alle drei Tage koche ich selbst.«
    »Aber an zwei von drei Tagen essen Sie in einer Kneipe Omelette und Sandwiches.«
    »Ja«, sagte ich.
    »Warum gerade Omelette und Sandwiches?«
    »In guten Kneipen gibt es hervorragende Omelettes und Sandwiches.«
    »Mhm«, sagte sie. »Sie sind schon ein merkwürdiger Mensch.«
    »Überhaupt nicht«, sagte ich.
    Da ich nicht wusste, wie ich das Thema wechseln sollte, schwieg ich eine Weile und sah auf die Asche im Aschenbecher.
    Sie kam zur Sache: »Sie wollten doch geschäftlich mit mir sprechen.«
    »Wie ich gestern schon sagte, ist Ihre Arbeit bereits abgeschlossen. Schwierigkeiten gibt es auch nicht. Es gibt also nichts zu besprechen.«
    Sie nahm aus dem Seitenfach ihrer Handtasche eine schlanke Mentholzigarette, zündete sie mit den Restaurantstreichhölzern an und schaute mich an, als wolle sie sagen »Und, weiter?«
    Als ich gerade ansetzen wollte, kam sicheren Schrittes der Oberkellner auf unseren Tisch zu. Er lächelte, als hätte er vor, mir das Foto seines einzigen Sohnes zu zeigen, hielt mir das Etikett der Weinflasche hin, und als ich nickte, entkorkte er sie angenehm leise, um mir dann ein wenig einzugießen. Es schmeckte wie die Quintessenz der Rechnung.
    Kaum hatte sich der Oberkellner zurückgezogen, kamen zwei andere Kellner und brachten drei große und zwei kleine Teller. Als auch sie verschwanden, waren wir wieder allein.
    »Ich wollte unbedingt Ihre Ohren sehen«, sagte ich ehrlich.
    Ohne etwas zu sagen, nahm sie sich von der Pastete und der Seeteufelleber und trank einen Schluck Wein.
    »Fühlen Sie sich belästigt?«
    Sie lächelte ein bisschen. »Köstliche französische Küche ist keine Belästigung.«
    »Stört es Sie, auf Ihre Ohren angesprochen zu werden?«
    »Auch nicht. Kommt darauf an, von welcher Warte aus darüber gesprochen wird.«
    »Ich nehme die, die Sie mögen.«
    Sie schüttelte den Kopf, während sie die Gabel zum Mund führte. »Seien Sie ehrlich. Das ist mir die liebste Warte.«
    Wir tranken eine Zeit lang schweigend unseren Wein und aßen weiter.
    »Ich biege um eine Ecke«, sagte ich. »Aber die Person, die vor mir geht, verschwindet schon um die nächste. Ich kann sie nicht sehen. Das Einzige, was ich flüchtig erblicke, ist der weiße Saum ihres Gewandes. Aber gerade die Weißheit dieses Saumes brennt mir immer weiter in den Augen, ich werde sie nicht los. Kennen Sie dieses Gefühl?«
    »Ich glaube schon.«
    »Genau dieses Gefühl vermitteln mir Ihre Ohren.«
    Wieder aßen wir eine Weile schweigend. Ich schenkte ihr Wein nach und goss mir auch etwas ein.
    »Die Szene an sich schwebt Ihnen nicht vor Augen, es ist nur ein Gefühl, nicht wahr?«, fragte sie.
    »Ja, genau.«
    »Hatten Sie dieses Gefühl früher schon einmal?«
    Ich dachte einen Augenblick nach und schüttelte dann
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