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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat
Autoren: Octavia Butler
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und zwischen ihren Heilpflanzen. Es waren fremdartige Pflanzen, die den Me n schen ihres Volkes unbekannt waren. Nur sie allein pflan z te sie an, benutzte sie als Medizin gegen Krankhe i ten und Wunden, mit denen die Leute zu ihr kamen. Oft genug b e durfte es einer solchen Behandlung gar nicht, doch das b e hielt sie für sich. Die Leute glau b ten an die heilende Kraft ihrer Kräuter, und deren Anwendung brachte ihnen E r leichterung bei Kran k heit und Schmerzen. Sie liebten es, den Nachbarn von diesen Wunde r kräutern zu erzählen, was Anyanwu ihnen au s drücklich erlaubt hatte. Sie war eine Art Orakel. Eine Frau, durch die eine Gottheit sprach. Fremde zahlten teuer für ihre Dienste. Die Einnahmen k a men ihrem Volk zugute, genauso wie ihr selbst. Und so hatte es zu sein. Ihre Leute mußten wissen, daß Anyanwus Gegenwart ihnen Nutzen brachte, daß sie aber auch Grund hatten, ihre Fähi g keiten zu fürchten. Auf diese Weise blieb der A b stand zwischen ihr und den anderen gewahrt. Sie war sicher vor ihnen, und das Volk war sicher vor ihr. Die meiste Zeit jedenfalls. Doch hin und wieder g e schah es, daß der eine oder andere seine Furcht überwand und glau b te, ihrem langen Leben ein Ende setzen zu müssen.
    Der Eindringling kam näher, ließ sich allerdings immer noch nicht sehen. Kein Mensch mit ehrl i chen Absichten näherte sich einem derart ve r stohlen und heimlich. Wer war dieser Mann? Ein Dieb? Ein Mörder? Jemand, der sie für den Tod eines Verwandten oder irgendein anderes Mißgeschick verantwortlich machte? Während ihrer zah l reichen J u gendperioden hatte man ihr oft die Schuld für alle möglichen Arten von Ungemach und Unheil zug e schrieben. Um sie der Hexerei zu überführen, hatte man ihr sogar Gift gegeben.
    Bereitwillig hatte sie diese Prüfungen über sich ergehen lassen, denn sie wußte, daß sie unschu l dig war. Zumindest war sie sicher, daß kein gewöhnl i cher Mensch mit seinen ungenügenden Kenntnissen über Gifte und fremdartige Pflanzen ihr gefährlich werden konnte. Sie wußte mehr über Gifte und hatte in ihrem langen L e ben mehr davon eingenommen, als einer ihrer Leute es sich vorstellen kon n te. Jedesmal b e stand sie diese Prüfungen, ohne Schaden davonzutragen, und ihre Widersacher sahen sich der L ä cherlichkeit preisgegeben und standen als Lügner da. I m mer dann, wenn Anyanw u das Alter einer E r wachsenen erreicht hatte, hörte man damit auf, sie zu beschuldigen. Aber der Gedanke, daß sie eine Hexe sein könne, saß in den Köpfen ihrer Leute fest. Immer wieder ve r suchte man, Beweise gegen sie in die Hände zu bekommen und sie zu töten ohne Rücksicht auf das Ergebnis der Prüfungen, d e nen man sie u n terzog.
    Der Eindringling schien sie schließlich lange genug b e obachtet zu haben. Er betrat den schmalen Pfad und zeigte sich ihr in aller O f fenheit. Sie schaute auf, als bemerke sie ihn zum erstenmal.
    Er war ein Fremder, ein gutaussehender Mann, größer und breitschultriger als die meisten Männer, die sie kannte. Seine Haut besaß die gleiche dunkle T ö nung wie die ihre. Sein Gesicht war schön, mit breiten, kräftig ausgeprägten Wangenknochen. Ein fe i nes Lächeln spielte um den vollen Mund. Er ist jung – noch nicht dreißig, dachte sie. Ganz gewiß zu jung, um irgendeine Bedrohung für sie darzuste l len. De n noch, etwas an ihm beunruhigte sie. Vielleicht die Tatsache, daß er ihr nach seinem heimlichen A n schleichen so plötzlich und offen gegenübertrat.
    Wer war er?
    Was wollte er von ihr?
    Als er sich ihr auf Hörweite genähert hatte, sprach er zu ihr, und seine Worte ließen sie ve r wirrt die Stirn runzeln. Es waren fremdartige Worte, völlig unve r ständlich für sie und doch von einer seltsamen Ve r trautheit, so als gehörten sie zu einer Sprache, die sie verlernt zu haben schien.
    Ihre Haltung straffte sich in dem Bemühen, eine ung e wohnte Nervosität vor ihm zu verbergen.
    »Wer bist du?« fragte sie.
    Während sie sprach, hob er ein wenig den Kopf, zum Zeichen, daß er ihr zuhörte.
    »Wie können wir uns verständigen?« fragte sie. »Du mußt von sehr weit her kommen, deine Aussprache ist so ung e wöhnlich.«
    »Von sehr weit«, sagte er in ihrer eigenen Spr a che. Die einzelnen Worte kamen klar und deutlich, jedoch mit e i nem Dialekt, der sie an die Zeit ihrer frühesten Jugend erinnerte. Damals hatten die Leute eine solche Aussprache gehabt. Anyanwu hatte sie nie gemocht. Alles daran wirkte abstoßend auf sie.
    »So
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