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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat
Autoren: Octavia Butler
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Selbstmord ve r nichten dürfen, während er mit schweißüberströ m tem Gesicht vor ihr stand und am ganzen Leib zitte r te wie ein hinfälliger Greis!
    Doch er konnte sie weder verlassen noch töten. Es war unmöglich. »Anyanwu, du darfst nicht fortgehen!« W e nigstens seine Stimme gehorchte ihm noch, und er sprach nicht in diesem geisterhaften Übergangs-Ton, den er u n mittelbar vor dem Verlassen eines Körpers annahm. Dieser Ton e r füllte die meisten Leute mit panischem Entsetzen, und Anyanwu sollte nicht denken, er versuche ihr Angst einz u jagen.
    Anyanwu schlug Decke und Laken zurück und legte sich hin.
    Jäh durchzuckte ihn der Gedanke, daß sie jetzt damit beginnen würde, zu sterben. Vor seinen Augen. In seiner G e genwart legte sie sich nieder und machte ihrem Leben ein Ende.
    »Anyanwu!«
    Mit einem Satz war er an ihrem Bett, riß sie in seine Arme.
    »Ich flehe dich an!« stieß er hervor, ohne noch länger auf seine Stimme zu achten.
    »Hör mich an, Anyanwu, bitte!«
    Sie lebte noch!
    »Hör mich an! Ich würde alles dafür geben, wenn ich jetzt neben dir liegen und mit dir sterben könnte. Du kannst nicht wissen, wie sehr ich mich danach g e sehnt habe …« Er schluckte.
    »Sonnenfrau, bitte, verlaß mich nicht!«
    Seine Stimme erstarb.
    Er weinte.
    Ein wildes Schluchzen schüttelte den ohnehin schon b e benden Körper. Hemmungslos brach ein Strom von Tränen aus ihm hervor, so, als wollte er nachh o len, was ihm bis dahin verwehrt gewesen war. Als wollte er darin jene en d losen Jahre ertränken, in d e nen seine Tränen versiegt waren und es keine Erl ö sung für ihn gegeben hatte.
    Er vermochte nicht aufzuhören. Er vermochte nicht zu sagen, wann sie ihm die Schuhe auszog, ihn in die Bettd e cke einhüllte und sein Gesicht mit Wasser kühlte. Doch i r gendwann spürte er den Trost ihrer Arme, die Wärme ihres Körpers an seiner Seite. Endlich verebbten seine Tr ä nen. Erschöpft sank er in den Schlaf, den Kopf an ihrer Brust. Als er am nächsten Morgen erwachte, war diese Brust immer noch warm. Sie hob und senkte sich unter i h ren ruh i gen, gleichmäßigen Atemzügen.

Epilog
    Zugeständnisse waren unumgänglich.
    Anyanwu konnte nicht auf allem bestehen, was sie wünsc h te, und Doro konnte nicht auf allem bestehen, was er ei n mal als sein Recht angesehen hatte.
    Anyanwu hielt ihn davon ab, Menschen zu töten, wenn er sie für seine Zuchtzwecke nicht mehr gebrauchen kon n te. Sie konnte zwar nicht erreichen, daß er überhaupt nicht mehr tötete, doch sie nahm ihm das Versprechen ab, daß das, was mit Susan und Thomas geschehen war, nie mehr geschehen würde. Wenn jemand einen Anspruch hatte, vor ihm sicher und seiner Fürsorge gewiß zu sein, dann waren es diese Menschen.
    Und Doro machte ihr keine Vorschriften mehr. Sie war nicht länger mehr nur eins seiner Zuchtobjekte, eine seiner Versuchspersonen. Sie war nicht mehr seine Sklavin, seine Beute, über die er willkürlich verfügen konnte. Er bat sie um ihre Hilfe, um ihre Mitarbeit, aber er würde sie nie mehr zwingen. Und er würde nie mehr ihre Kinder bedr o hen und dies als Druckmittel gegen sie gebrauchen.
    An diesem Punkt kam es allerdings zwischen ihnen zu einem Streit, oder wenigstens zu einer Mißhelli g keit. Doro versprach zwar, sich nie wieder zwischen sie und ihre Ki n der zu drängen, aber Anyanwu ve r langte zusätzlich, daß er sich nicht nur von ihren Kindern, sondern auch von ihren sämtlichen Nac h kommen fernhielt. Und Doro weigerte sich, ihr ein solches Versprechen zu geben.
    »Hast du eine Vorstellung, wie viele Nachkommen du hast und wo überall auf der Welt sie leben?« fra g te er sie.
    Natürlich hatte sie davon keine genaue Vorstellung, o b wohl sie nicht daran zweifelte, daß sich aus all ihren Nac h kommen inzwischen eine große Nation hätte gründen la s sen.
    »Ich möchte dir nichts versprechen, das ich nicht halten kann«, sagte Doro. »Und ich möchte nicht jeden Fremden, der mir gefällt, fragen müssen, wer seine Urururgroßmutter war.«
    So kam es, daß sie eines Tages eine Kolonie gründete. Eine Kolonie zum Schutze ihrer Kinder, Enke l kinder und aller, die zu ihrem Haushalt gehörten. Denn es war ihre Aufgabe, diese Menschen zu beschützen, sie zu formen und zu bi l den und sie in Sicherheit zu bringen, wenn sie dies für notwendig hielt.
    Als die Spannung zwischen den Nord- und Südstaaten sich innerhalb weniger Jahre so verschärfte, daß ein Krieg unausweichlich schien, beschloß Anyanwu,
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