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Wilde Saat

Wilde Saat

Titel: Wilde Saat
Autoren: Octavia Butler
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nahmen das Aussehen einer Mädche n hand an. Arme und Schultern verloren ihre Hagerheit, und die schlaff hängenden Brü s te wurden voll und fest. Die Hüften rundeten sich unter dem Stoff ihres Gewandes, und Doro verspürte das Verlangen, sie auf der Stelle zu entkle i den und nackt zu sehen. Schließlich berührte sie ihr G e sicht und glättete die Falten da r in. Eine tiefe, dunkle Linie unter ihrem linken Auge verschwand. Die Haut wurde zart und r o sig, und die Frau erschien überraschend schön.
    Sie sah aus wie eine Zwanzigjährige. Sie räu s perte sich, und die Stimme, mit der sie zu ihm redete, war weich wie die Stimme einer jungen Frau. »Genügt das?«
    Einen Augenblick lang verschlug es ihm die Sprache. Fassungslos starrte er sie an, dann sagte er: »Bist du es wirklich, Anyanwu?«
    »Ja. In meiner wirklichen Gestalt. So wie ich immer bin, wenn ich für andere nicht mein Alter verändere. Diese Ve r wandlung gelingt mir sehr leicht: Nicht jede ist so ei n fach.«
    »Nicht jede?«
    »Glaubst du, ich könne nur diese eine Gestalt anne h men?« Sie begann damit, ihrem verwandlungsfähigen Kö r per eine neue Form zu geben. »Ich nehme Tiergestalten an, um meine Leute zu erschrecken, wenn sie mich töten wo l len«, sagte sie. »Ich ve r wandle mich in einen Leoparden und fauche sie an. Sie glauben an solche Dinge, aber sie mögen es nicht, wenn sie sich tatsächlich vor ihren Augen erei g nen. Ab und zu werde ich zur heiligen Python, und keiner wagt es, mir ein Leid anzutun. Die P y thon-Gestalt brachte mir Glück. Wir brauchten Regen, wenn die Dü r re nicht unsere ganze Jahresernte vernichten sollte. Und wä h rend ich eine Python war, kam der Regen. Die Leute hie l ten meinen Za u ber für wirksam, und es dauerte eine sehr lange Zeit, bis mich wieder jemand von ihnen töten wol l te.«
    Während sie sprach, verwandelte sie sich in einen kle i nen muskulösen Mann.
    Doro ging einen Schritt auf sie zu. Er beabsic h tigte, ihr die Kleider abzustreifen, aber er b e wegte sich langsam, damit sie seine Absicht verstand. Sie griff nach seinem Arm, und er spürte ihre Stärke. Obgleich sie ohne Kraftan s trengung zufaßte, hatte er den Eindruck, sein Handgelenk würde brechen. Mühsam brachte er sich wieder unter Kon t rolle, nachdem er die Schrecksekunde überwunden hatte. Er schaute Anyanwu an und sah, daß sie selbst ihr Gewand löste und zu Boden gleiten ließ. Er stand immer noch u n ter dem Eindruck der ungeheuren Stärke, die ihr Griff verraten hatte. Doch dann bemerkte er ihren Körper und stellte überrascht fest, daß sie tatsächlich den Körper eines Ma n nes ang e nommen hatte.
    »Kannst du auch ein Kind zeugen?« fragte er.
    »Manchmal. Nicht jetzt.«
    »Hast du das schon einmal getan?«
    »Ja. Aber nur Mädchen.«
    Er lachte und schüttelte den Kopf. Diese Frau war weit interessanter, als er es für möglich gehalten hatte. »Es, verwundert mich, daß dein Volk dich am Leben gelassen hat«, sagte er.
    »Glaubst du, ich hätte zugelassen, daß sie mich töt e ten?« fragte sie.
    Erneut lachte er. »Was wirst du also tun, Anyanwu? Bei ihnen bleiben und dich mit jeder neuen Gener a tion anlegen, bis sie begriffen hat, daß sie dich am besten in Ruhe läßt – oder wirst du mit mir ko m men?«
    Sie streifte ihr Gewand wieder über und starrte ihn an. Die großen, überklaren Augen blickten täuschend sanft aus ihrem Jungmännergesicht. »Ist es das, was du willst?« fra g te sie. »Ich soll mit dir gehen?«
    »Ja.«
    »Das also ist der eigentliche Grund, aus dem du herg e kommen bist.«
    Er glaubte Furcht in ihrer Stimme zu hören, aber sein schmerzendes Handgelenk erinnerte ihn daran, daß sie ke i ne übermäßige Angst vor ihm zu haben brauchte. Sie war stark. Sie hätte ihn zwingen kö n nen, sie zu töten. Er sprach zu ihr, und das, was er sagte, war offen und aufrichtig.
    »Ich kam zufällig hierher, weil Menschen, die mir in Treue dienten, in die Sklaverei ve r schleppt wurden«, sagte er. »Ich ging zu ihrem Dorf, um sie von dort fortzuholen. Um sie zu einem Platz zu bringen, an dem sie sicher waren. Aber ich fand nur noch das, was die Sklavenjäger von i h nen übriggelassen hatten. Ich verließ den Ort der Zerst ö rung, ohne darauf zu achten, wohin ich ging. Plötzlich war ich hier und erwachte wie aus einem Traum. Ich war übe r rascht, und zugleich war ich froh – zum erste n mal nach sehr langer Zeit.«
    »Es sieht so aus, als habe man dir dein Volk schon sehr oft
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