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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei
Autoren: Elizabeth Lane
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jetzt wieder dir, Rowena.
Du
bist frei.”
    Rowena senkte den Blick, ließ ihn durch den verwüsteten Raum schweifen, wo sie fast jede Nacht ihres Lebens verbracht hatte. Sie prägte sich alles genau ein: die düsteren Steinwände, die wertlosen Besitztümer, das einsame Bett. Sie dachte an die Jahre, die vor ihr lagen, allein in diesem Haus, oder vielleicht zusammen mit ihrem Kind, wie sie versuchen würde, den endlosen leeren Tagen irgendeinen Sinn zu geben.
    Wieder sah sie zu dem Mann auf, der sie zum Leben erweckt und ihr die Liebe gebracht hatte, und sie spürte, wie sich eine ganz neue Welt vor ihr auftat.
    Würde sie den Mut haben, in diese neue Welt aufzubrechen? Konnte sie die Bürde dieses großen, belastenden Hauses abschütteln ebenso wie dieses Leben, das geprägt war von düsteren alten Überlieferungen und mühsamer Pflichterfüllung, um sich zu befreien und wie ein Vogel in die unendliche Weite des Himmels aufzusteigen?
    Ja, es ist möglich, dachte sie, während sich ihre Gedanken überschlugen. Gefahren würden an jeder Ecke lauern, aber war die Gefahr nicht der natürliche Gefährte der Freiheit? Gehörten Wagnisse nicht zum Leben wie die Luft zum Atmen?
    Black Otter sah sie fragend an mit seinen dunkel schimmernden Augen. Er hatte sie nie darum gebeten, mit ihm zu kommen – nicht einmal die Möglichkeit erwähnt. Aber sie wusste, dass er sie jetzt auf seine ihm eigene stille Art fragte, und ihr war klar, wie die Antwort lauten musste.
    Sie bückte sich und hob den Beutel mit dem Schmuck auf, den Bosley auf den Boden geworfen hatte. Dann ließ sie ihre freie Hand in seine gleiten, wie eine Lady die Hand eines Lords nehmen würde.
    “
Wendaxa”
, sagte sie leise. “Komm, lass uns heimkehren.”

EPILOG
    Im Herbst stand der Vollmond über der samtigen Dunkelheit des Waldes. Sein goldenes Licht berührte die Bäume und lag schimmernd auf dem Wasser, wo der große Mochijirickhicken dem Meer entgegenfloss. Tief im Dickicht hatte sich ein Rudel Rotwild sein Nachtlager gesucht, dicht aneinander gedrängt ruhten sie auf der Erde. Von den schützenden Zweigen über ihnen schwang sich eine Eule lautlos in die Luft und schwebte wie ein Wahngebilde in die Tiefe der Nacht.
    In den Rindenhütten des Lenape-Dorfes hatten sich die Bewohner auch zur Ruhe begeben. Nur ihr
Sakima
, Black Otter, war noch wach und lag, tief in Gedanken versunken, auf seinem Bett aus Fellen neben dem langsam verglimmenden Kohlenfeuer.
    Auf der anderen Seite der Hütte lagen Swift Arrow und Singing Bird in ihre Umhänge eingewickelt im tiefen Schlummer. Black Otter hatte so manche Nachtstunde damit verbracht, so wie heute über ihren Schlaf zu wachen. Selbst jetzt, nach mehr als einem Mond, fiel es ihm immer noch schwer, zu glauben, dass sein Sohn und seine Tochter auf ihn gewartet hatten, sicher und wohlbehalten, behütet von den Leuten seines Dorfes. Er liebkoste sie mit seinen Blicken, immer noch halb in Sorge, dass ihre geliebten Gesichter wie Trugbilder verschwinden könnten und er allein und wieder in Ketten aufwachen würde.
    Als der Schlaf sich allmählich seiner bemächtigte, legte Black Otter die Arme enger um seine schlummernde Frau und zog ihren von neuem Leben gerundeten Körper dichter an sich. Welch ein Wunder sie war, seine Rowena. Welch unendliche Geduld, wie viel Verständnis und Liebe sie besaß.
    Diese Liebe schloss seine Kinder ebenso ein wie sein Volk, und dadurch hatte sie alle Herzen für sich gewonnen. Das half ihr in den ersten schwierigen Tagen, sich in einem neuen Leben zurechtzufinden, genauso wie die freudige Entdeckung, dass der große Geist ihren Wunsch erfüllt hatte. Ihr Kind würde im Winter zur Welt kommen, willkommen geheißen und geliebt von allen im Dorf.
    Black Otters Gedanken kreisten um die Zeiten, die vor ihnen lagen, die schwierigen, gefährlichen Zeiten, wenn die Weißen zweifellos in ihr Land kommen würden. Mit Rowenas Hilfe wollte er sein Volk vorbereiten und beschützen, sodass sie auch ohne ihn bereit wären, mit den englischen Eindringlingen fertig zu werden. Jetzt blieb ihm nur zu hoffen, dass ihm noch einige Jahre Frieden vergönnt sein mochten, ein paar Jahre dieser seligen Zufriedenheit.
    Rowena regte sich neben ihm. Sie öffnete ihre goldbraunen Augen und lächelte, während sie seine Wange streichelte.
    Black Otter beugte sich hinab und küsste sie zärtlich. Er war zu Hause.
    – ENDE –
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