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Wild und frei

Wild und frei

Titel: Wild und frei
Autoren: Elizabeth Lane
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beruhigt. Der abnehmende Mond stand jetzt hell und klar am westlichen Himmel, sodass jeder Grashalm sich deutlich schwarz und silbern abzeichnete.
    Rowena ging hocherhobenen Hauptes, aber sie war fast blind von all den Tränen, die sie zurückgehalten hatte, während sie bei Black Otter gewesen war. Jetzt hatten sich ihre Wege getrennt. Sie würde nie erfahren, ob ihr Wilder wohlbehalten Amerika erreichte. Er würde niemals wissen, ob sie ein Kind von ihm bekam.
    Sie trottete zur Straße, ohne sich noch einmal umzudrehen. Wenn sie ihn dort stehen sah, am Rand der Klippe, würde sie es niemals über sich bringen, wegzugehen. Und sähe sie ihn nicht, würde ihr das Herz brechen.
    Er hatte ihr behutsam geholfen, als sie an der Stirnseite der Klippe emporkletterten. Dann hielten sie sich noch einmal lange im Arm.
    “
Lapich knewel”
, hatte er geflüstert und sie freigegeben.
    “Leb wohl, mein Herz.” Zu überwältigt, um zu antworten, hatte sie sich einfach abgewandt und war losgerannt. Es war vorbei.
    Während sie über das Moor wanderte, gaben die im Osten dahinziehenden Wolken den Blick frei auf einen schillernden Lichtschein am Horizont, leuchtend wie Perlmutt. Bald würde die Morgendämmerung eines neuen Tages anbrechen, eines Tages der Entscheidung und Veränderung. Sie musste nach vorn sehen, ihren Blick auf die Aufgaben richten, die sich vor ihr auftürmten – zuerst einmal mit ihrem Schmuck und angemessener Kleidung aus dem Haus entkommen, ein Pferd satteln und wie der Wind nach Plymouth reiten, und danach …
    Aber da war noch etwas, das sie tun wollte, ehe sie ins Haus ging. Es kam ihr in den Sinn, als sie geradeaus vor sich das mondbeschienene kleine Wäldchen sah, wo die Gehege der Falken standen.
    Die kleine Behausung des Turmfalken stand leer und verlassen. Nur der Gierfalke war noch da. Der junge Will hatte den Vogel versorgt, sein Gehege gesäubert, ihm frisches Wasser hingestellt und ihm tote Mäuse aus dem Stall gebracht. Aber seit jenem schrecklichen Tag, als der Turmfalke starb und Bosleys Schläger den Wilden gefangen genommen hatten, war der große silbrige Vogel nicht mehr ins Freie gekommen.
    Rowena hörte, wie der Gierfalke unruhig wurde, als sie den schweren Handschuh vom Haken nahm und ihn über ihre linke Hand streifte. Sein Ruf, ein gellendes “kek, kek, kek”, hallte durch die Bäume, als sie die Tür entriegelte und ihren Arm nach dem Vogel ausstreckte, damit er auf ihre behandschuhte Hand klettern konnte. Während sie mit ihrem Daumen die ledernen Wurfriemen festhielt, hatte sie schon die winzige gefiederte Haube gefunden und zog sie geschickt über den Kopf des Falken.
    Jetzt kam der schwierigste Teil. Sie musste sich hauptsächlich auf das verlassen, was sie ertasten konnte, als sie an den Wurfriemen zog, sie entwirrte und einen nach dem anderen von der Fußfessel löste, bis der Falke schließlich losgebunden auf ihrer Faust saß, nur noch durch die Haube vor seinen Augen zurückgehalten.
    Vorsichtig zog sie ihm die Haube vom Kopf. Der große Vogel trippelte auf dem Handschuh hin und her, zunächst noch zögernd. Dann fing er an, mit seinen kräftigen Flügeln zu schlagen und schoss pfeilschnell nach oben. Der Falke war frei genau wie Black Otter.
    Nur sie war noch am Boden gefesselt.
    Rowena blickte dem Falken nach, der in immer größerer Höhe seine Kreise zog, ein weißes Pünktchen am dunkel schimmernden Himmel, auf dem das Morgenrot heraufzog. “
Lapich knewel”
, flüsterte sie, Black Otters Abschiedsgruß an sie wiederholend. “Lebe wohl.”
    Sie spürte einen Kloß im Halse und schluckte, als sie sich wieder dem Haus zuwandte. Bosley hatte in der Nacht zuvor getrunken. Mit etwas Glück wäre er noch in seiner Kammer und hörte und sah nicht, was vor sich ging. Aber sie würde nicht eher frei atmen können, als bis sie endlich diesen Ort hinter sich gelassen hatte.
    Ihr verschwamm noch immer alles vor den verweinten Augen, deshalb und wegen des dämmrigen Lichtes konnte sie die Wurzel mitten im Weg nicht sehen. Sie stolperte nach vorn und wäre hingefallen, wenn nicht zwei große, kräftige Hände sie von hinten an den Ellbogen gepackt hätten.
    Sie stieß einen Schrei aus, während sie sich losriss und heftig herumfuhr, die Hände erhoben und bereit, jeden Angreifer zu schlagen und zu kratzen, ganz gleich, wer es sein mochte.
    Aber die große, massige Gestalt, die sich drohend vor dem Morgenlicht abzeichnete, griff nicht an. Der Mann blieb wie angewurzelt stehen,
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