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Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Titel: Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
Autoren: Friederike Schmöe
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jederzeit etwas geschehen; etwas Unerwartetes, Gefährliches, Tödliches. Dies hatte mich das Leben gelehrt. Die Bombe, die mein Leben in Stücke gerissen hatte, war im Hard Rock Café in Scharm El-Scheich explodiert. Mitten unter Touristen, die auf eine gute Zeit abonniert waren. So wie die Oktoberfestfreaks. Spaß, Vergnügen, Thrill, Nervenkitzel, Alkohol, Sex. Ich lehnte mich gegen die Querstange, die den Aufgang zu ›The Demon‹ sicherte, und sah auf die Uhr. Wie lange waren die schon da drin?
    Irgendwann fiel mir auf, dass die Gondeln stillstanden. Fahrgäste suchten sich einen Platz, aber die Gondeln bewegten sich nicht. Plötzlich lag Aufregung in der Luft, ein bitterer Geschmack, ein unhörbar hoher Ton.
    »Das stimmt jetzt nicht«, sagte ich laut zu mir selbst, ohne im Getöse meine Stimme zu hören. »Ich bilde mir das ein. Neurose total.«
    Der Mann an der Kasse verließ sein Häuschen und rannte zu der Stelle, wo die Gondeln aus der Bahn herauskommen mussten. Man sah den Bug eines Bobs. Um mich herum blieben Leute stehen. Die grausame Dynamik des Unglücks zog Menschen an. Ich stieg die Stufen zur Kasse hoch und lief an der Front von ›The Demon‹ entlang, boxte mich durch die Menge und kam neben dem Kassenmann zu stehen.
    »Was ist los?«
    »Ein Kurzschluss. Wir müssen die Notversorgung ankriegen, um die Leute rauszuholen.« Er machte sich an einem Schaltkasten zu schaffen. »Aber hier tut sich nichts.« Nervös wischte er sich die Finger an seiner Latzhose ab. Seine Ohrmuscheln waren von oben bis unten gepierct. Er rollte das r, als gelte es das Leben.
    »Das gibt’s doch nicht!«
    »Wir haben eine komplette zweite Versorgung hier liegen.« Verzweifelt schlug er auf einzelne Schalter, fuhr mit dem Finger über einen Schaltplan.
    Ich schnüffelte. »Es riecht verbrannt!« Meine Stimme wurde schrill. Jetzt kommt der Augenblick, wo dir die Nerven durchgehen, nicht, Kea?, dachte ich cool. Das Déjà-vu. Alles schon mal gehabt. Hilflos im eigenen Blut liegen, diesen metallischen und gleichzeitig verbrannten Geruch in der Nase haben. Du hast nur eine dunkle Ahnung von dem, was geschehen ist, doch du willst es nicht genau wissen, noch nicht, noch nicht …
    Neben mir tauchte eine junge Frau auf. Sie hielt ihr Telefon wie einen Faustkeil in der Hand und schrie: »Was ist los? Meine Mutter ist dort drin. Was ist los?«
    Ich quetschte mich durch die Klapptüren der Ausfahrt.
    »Ruhig, Miss«, hörte ich den Kassenmann sagen.
    »Nero?«, schrie ich in die Schwärze hinein. »Nero?« Der erste Bob, der halb aus der Bahn herausragte, war nicht besetzt.
    »Kommen Sie zurück«, schrie Latzhose mir nach, ließ den Schaltkasten im Stich und rannte mir hinterher.
    »Rufen Sie mal lieber die Feuerwehr«, gab ich zurück. Ich hörte schon die Sirenen. Automatischer Alarm, klar, auf der Wiesn durfte man nichts dem Zufall überlassen. Sicherheit und Schutz vor Massenpanik standen ganz oben auf der Liste. Nero hatte mir kürzlich einen Vortrag darüber gehalten, nachdem er mit ein paar Kollegen von der Wiesn-Polizei zusammengetroffen war. Aber Islamisten in der Geisterbahn? Oder der Verfassungsschutz? Das kam mir zu billig vor.
    Eine Hand griff nach meiner Schulter. »Bleiben Sie hier.«
    Die Sirenen wurden lauter. Ich zückte mein Handy und hielt das leuchtende Display ins Dunkel.
    »Bleiben Sie verdammt noch mal hier!«, brüllte der Kassenmann.
    »Leck mich.« Schritt für Schritt ging ich in die Geisterschachtel hinein. Roch verschmorten Kunststoff, Metall, Staub. Flehte meine Augen an, sich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Es war ganz still. Als habe der Stopp der Gondeln die Welt gebremst. Ich lauschte. Rief noch einmal: »Nero?«
    Ich stolperte. Überall lagen Kabel, ganze Stränge, armdick. Der Geruch nach verschmortem Kunststoff verätzte mir die Nase. Neben mir ragten Schatten auf. Gespenster und Konsorten. Nur ein bisschen Technik und Pappmaschee, dachte ich. Kabel und Supertechnologie, digital, der neueste Schrei. Uninteressant. Wieso fürchtet man sich vor diesen Kunstgeistern?, dachte ich. Das wahre Leben bietet genug Schockierendes, wovor es einem wahrhaftig grauen kann.
    »Warten Sie, mein Handy hat eine Taschenlampe«, rief eine Stimme hinter mir. Ich erkannte die junge Frau wieder, die mit ihrem Telefon auf den Kassenmann losgegangen war. »Ich hätte hier auch drin sein sollen, aber ich bekam einen Anruf, auf den hatte ich die ganze Zeit gewartet, und nun ist meine Mutter allein.« Ihre Stimme wurde
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