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Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Wieweitdugehst - Wieweitdugehst

Titel: Wieweitdugehst - Wieweitdugehst
Autoren: Friederike Schmöe
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Rest. Ich stöhnte auf und machte mich aus Neros Arm los.
    Er sah mich still von der Seite an. Ja, leide du nur an meinen seltsamen Panikattacken. Denk nur, es sei wegen meiner Erinnerungen an den Sinai.
    Was machte ich hier? Ich tastete nach meinem Pferdeschwanz. Wie lange hatte ich mein Haar nicht mehr offen getragen? Wie lange war ich nicht beim Friseur gewesen? Weil ich keine Zeit hatte? Warum trug ich Turnschuhe und Jeans, nichts Sommerliches? Aus Angst? Weil ich vielleicht würde rennen müssen? Immer fluchtbereit, so war mein Leben. Gib dem Vertrauen keine Chance, denn Vertrauensseligkeit wird sich irgendwann rächen.
    »Das war ein Einzeltäter«, beharrte Kröger.
    »Quatsch in Tüten«, entgegnete Sigrun. »Sogar in Italien hat die Polizei an die 20 Rechtsextreme festgenommen. Wegen Verdacht auf Mittäterschaft.«
    »Kinder, wohin zuerst?«, griff Bodo Roderick vermittelnd ein. »Ich schlage vor, wir probieren das Teufelsrad. Das müssen wir machen, bevor wir was im Magen haben, ansonsten …«
    Neros Hand berührte meine Schulter. Sehr zart, sehr vorsichtig.
    Ich wollte fort. In mein einsames Haus am Ende der Welt, weit weg von der Wiesn, dem Krach, den Menschen. Wollte an meinem weitläufigen Hang sitzen und über die Hügel ins Fünfseenland schauen, meine beiden Graugänse schnattern hören und ein Glas Chianti trinken. Mit wie wenig man mich zufriedenstellen konnte!
    »Ja, lasst uns ein paar Runden drehen«, nickte Freiflug. »Kein Jobtalking heute, bitte.«
    »Im Merkur stand, es gibt eine neue Geisterbahn«, zwitscherte Vicky. »The Demon. Sollen wir?«

3
    »Ich möchte nicht«, wehrte ich ab und stemmte meine 80 Kilo Lebendgewicht gegen Neros ausgestreckte Hand. »Macht, was ihr wollt, aber ich will da nicht rein.« Hoch vor mir ragte ›The Demon‹ auf. München sprach von nichts anderem mehr als von dieser ach so innovativen, angesagten Geisterbahn.
    »Bodo hat schon die Karten«, versuchte Nero mich zu überzeugen.
    Als wenn das ein Argument wäre. »Ich gebe ihm die Kohle zurück. Aber in die Geisterschachtel kriegt ihr mich nicht rein.« Angewidert starrte ich auf einen bluttriefenden Schädel, der von einem mechanischen Arm über der Einfahrt vor- und zurückbewegt wurde. Über Lautsprecher drang ein gequältes Jaulen in den frühen Abend. Nein, danke. Sinn fürs Makabre hatte ich nur auf dem Papier.
    Zwei Frauen standen ebenfalls unschlüssig da. Die ältere setzte sich schließlich in die Gondel, die jüngere kam ihr nach, sprang jedoch auf und lief davon, ein Handy am Ohr. Die Gondel ruckte, fuhr an, und ich sah das entsetzte Gesicht der Frau, die nun ohne schützende Begleitung in die Bahn gezogen wurde.
    Sigrun West nutzte die Gunst der Stunde und schlüpfte mit Nero gemeinsam in eine Gondel. Kröger führte seine Vicky zur nächsten. Freiflug und Roderick hockten sich hinter die Kollegen. Vor ihnen hatten ein paar Jungs ihren Spaß. Sie waren 13, vielleicht 14. Einer von ihnen versuchte, sich zu zweien seiner Kumpels in einen Bob zu quetschen, wurde aber von der Aufsicht zur nächsten Gondel dirigiert.
    ›The Demon‹. Ich erinnerte mich, heute im Münchner Merkur einen Artikel über die innovativen Horrorszenarien in dieser neuen Geisterbahn überflogen zu haben. Nicht mein Ding. Das Grauen des wirklichen Lebens reichte mir völlig aus.
    Die Jungen verschwanden in der Düsternis. Derjenige, der allein in einer Gondel saß, blickte verunsichert unter dem Schirm seiner Baseballkappe hervor. Die Selbstsicherheit des Heranwachsenden schmolz angesichts der schaurigen Rufe aus der Geisterschachtel. Der Schlund der G-Bahn verschluckte eine Gondel nach der anderen. Gemächlich. In einer Geisterbahn musste man sich so richtig Zeit zum Fürchten lassen.
    Ich klickte auf meinem MP3-Spieler herum und wartete auf bessere Zeiten. Hinter mir schwangen sich die Leute ins Teufelsrad. Kreischen, Lärm, Lautsprecherstimmen, höllisch verzerrt: ›Lose, Lose, Lose kaufen, nicht am Glück vorüberlaufen.‹ Ich schaltete die Musik aus, bei dem Krach war keine Silbe mehr zu verstehen.
    Ich sah gern Leuten zu. Wenn ich Szenen aus den Leben meiner Kunden schrieb, orientierte ich mich an Beobachtungen, die ich in der Wirklichkeit gemacht hatte. Details wurden wichtig. Wie bewegte sich jemand, wie stand er da, wenn er wartete, tänzelnd, wie festgewachsen, welche Grimasse schnitt er beim Blick in seine Geldbörse?
    In Gedanken versunken ortete ich das Leben um mich. Mit einem gewissen Argwohn. Es konnte
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