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Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)

Titel: Wie viel ist genug?: Vom Wachstumswahn zu einer Ökonomie des guten Lebens. (German Edition)
Autoren: Robert Skidelsky , Edward Skidelsky
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nicht übermäßig beunruhigen. Es gehört zu den alltäglichen Tatsachen des Lebens, dass wir über unvereinbare Ziele nachdenken und zwischen ihnen wählen müssen. Soll ich eine politische Karriere anstreben und Muße und Nachdenken dafür opfern? Soll ich mit Tennis weitermachen und dafür das Klavierspielen aufgeben? Menschen, die vor solchen Entscheidungen stehen, müssen ihre Wahl ohne die Hilfe eines universellen Algorithmus treffen. Im staatsbürgerlichen Bereich sind Debatten über unvereinbare Ziele das politische Alltagsgeschäft,zumindest wenn die Politik so funktioniert, wie sie soll. Nur der hartgesottene Technokrat sieht keinen Mittelweg zwischen Kalkül und Chaos.[ 33 ]
    Die Pluralität der Basisgüter hat die wichtige Konsequenz, dass der Mangel an einem nicht durch Überfluss an einem anderen aufgewogen werden kann, so wie ein Überfluss an Dollars vielleicht einen Mangel an Euros aufwiegen kann. In einem Leben ohne Freundschaft und Muße fehlt etwas, das noch so viel Respekt nicht ersetzen kann. Deshalb haben Moralphilosophen seit Aristoteles und Konfuzius immer vor übergroßer Spezialisierung gewarnt. Die einseitige Konzentration auf einen kleinen Teil einer Kunst oder Wissenschaft mag Kunst oder Wissenschaft allgemein bereichern, aber nur um den Preis einer Deformation des einzelnen Künstlers oder Wissenschaftlers. Natürlich können jene, die im vollen Besitz aller Basisgüter sind, in vernünftigem Maß nach zusätzlichen, spezielleren Gütern streben. Wir wollen nicht alle zu mittelmäßigen Generalisten machen. Aber niemand, so erfolgreich er in einem einzelnen Bereich sein mag, kann behaupten, ein gutes Leben zu führen ohne wenigstens ein Mindestmaß an Gesundheit, Muße, Persönlichkeit und so weiter.
    Wenn das erste Ziel eines Menschen darin besteht, für sich ein gutes Leben zu verwirklichen, dann ist es die erste Pflicht des Staates, ein gutes Leben für alle seine Bürger zu verwirklichen, soweit es in seiner Macht steht. (Dieses Prinzip der Gerechtigkeit gründet auf dem Gut des wechselseitigen Respekts, das wir oben diskutiert haben.) Die Einschränkung »soweit es in seiner Macht steht« ist wichtig. Gesundheit und Freundschaft stehen zu einem großen Teil in der Macht des Schicksals. Persönlichkeit, Respekt und Muße hängen zum Teil vom Handeln des Individuums ab. Trotzdem hat der Staat eine wichtige und legitime Rolle dabei, die
materiellen Bedingungen
zu schaffen, unter denen diese und andere gute Dinge gedeihen können. Dazu gehört nicht nur ein bestimmtes Niveau an allgemeinem Wohlstand, sondern auch die gerechte Verteilung und die weise Verwendung des Wohlstands und vielesandere mehr. Der Rest liegt bei den Einzelnen und den zivilgesellschaftlichen Institutionen. Um einen Satz von Keynes abzuwandeln: Der Staat ist nicht der Treuhänder der Zivilisation, sondern der Treuhänder der Möglichkeit der Zivilisation.
    Wir haben gesagt, es sei die
erste
Pflicht des Staates, die materiellen Bedingungen eines guten Lebens für alle zu schaffen. Es steht ihm frei, wenn das erreicht ist, nach Schönheit, Macht und Größe zu streben. Versailles und die Pyramiden haben ihren Platz im System der Zivilisation, aber nicht um den Preis von Leben, Gesundheit und Wohlergehen. Diese Lehre hat den schrecklichen Namen »Suffizienzphilosophie« bekommen, aber im Kern geht es um ein Wissen des gesunden Menschenverstands: dass Bedürfnisse nicht für Luxuswünsche geopfert werden dürfen. Wenn ein Basisgut auf viele verschiedene Wege verwirklicht werden kann, sollte der Staat die Freiheit haben, entsprechend seinen historischen Traditionen einen Weg den anderen vorzuziehen. Indien und China sind nicht verpflichtet, dem westlichen Vorbild zu folgen, wenn es um die Legalisierung der Homosexuellen-Ehe und die Kriminalisierung der Tierquälerei geht. Nur wenn eine historische Tradition ein Basisgut zerstört, verlangt die Gerechtigkeit, dass sie aufgegeben wird.
    Und wo bleibt bei all dem das Wachstum? Offenbar ist für vernünftige Politik Wachstum niemals ein Endzweck. Aristoteles folgte nur dem gesunden Menschenverstand, als er schrieb, »der Reichtum ist gewiss nicht das gesuchte oberste Gut. Er ist nur ein Nutzwert: Mittel für andere Zwecke«.[ 34 ] Aber wenn Wachstum kein Selbstzweck ist, könnte es trotzdem aus anderen Gründen wünschenswert sein. Drei solche Gründe fallen einem gleich ein.
    Erstens könnte man Wachstum vernünftigerweise erstreben als
Mittel
zu einem oder mehreren
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