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Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen
Autoren: Luanne Rice
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war, hatte ich ja schon gesehen.«
    »Deshalb hast du sie beschützt.«
    »So gut ich konnte. Als es dazu bereits zu spät war.«
    »Es war nicht zu spät.« Sie legte den Kopf auf die Knie, noch immer fassungslos. »Eher mittendrin – während die
Gardai
Beweise für die Anklage suchte und das Gericht dich verurteilte …«
    »Honor, ich schwöre dir – ich werde dir keinen Kummer mehr machen. Keinem von euch. Ich habe genug angerichtet. Ich liebe dich, und deshalb werde ich von hier weggehen. Nicht für immer, aber bis sich die Wogen geglättet haben. Und sobald wir überlegt haben, was für Regis das Beste ist – sie braucht unsere Hilfe …«
    »Du gehst nirgendwohin«, erwiderte Honor leise.
    »Du weißt, es ist der beste Weg für …«
    »Es ist der schlechteste Weg. Für uns alle.«
    Sie legte ihm den Finger auf die Lippen, gebot ihm zu schweigen. Sie überlegte fieberhaft, wusste, dass sie zu Regis mussten. Inzwischen hatte die Flut voll eingesetzt, die Wellen schwappten bereits über den äußeren Steinring, sickerten zwischen den Kieselsteinreihen hindurch, so dass ihre nackten Füße und die Säume ihrer Jeans nass wurden.
    Honor dachte daran, was Regis über John gesagt hatte: dass er Farbe in das Leben der ganzen Familie brachte. Er war hitzköpfig, waghalsig, suchte die Gefahr, und obwohl sie diese Eigenschaften beängstigend fand, waren sie ein Teil des Mannes, den sie seit jeher liebte – der stets bereit gewesen war, das Leben und die Liebe voll auszukosten, ohne Vorbehalt und Grenzen. Sie dachte an die neuen Bilder, die sie gemalt hatte, und wusste, dass seine Arbeit, sein ganzes Wesen, sie beflügelte und inspirierte.
    »Wir brauchen dich jetzt«, sagte sie, als das Wasser des Sunds immer näher kam. »Mehr als je zuvor.«
    »Trotz …«
    »Trotz allem.«
    »Chris Kelly ist aus Hartford gekommen. Er wartet im Konvent. Ich denke, wir sollten mit ihm reden und sehen, was er uns rät.«
    »Was er uns rät?«
    »Honor, Regis hat sich mir anvertraut, weil sie sich die Geschichte von der Seele reden musste. Glaubst du, damit sei es getan? Sie ist entschlossen, für alles die Verantwortung zu übernehmen.«
    »Aber du hast bereits dafür gebüßt –«
    John packte sie und blickte sie an. Angst ergriff sie, als ihr klarwurde, dass Regis keine Ruhe geben würde, bis sie den Namen ihres Vaters reingewaschen hatte. Sie sprang auf, wie gehetzt; sie musste sofort zu ihrer Tochter und ihr ausreden, was immer sie auch vorhaben mochte. Doch John hielt sie zurück, versuchte, sie zu beschwichtigen.
    »Du meinst, sie will ein Geständnis ablegen und den Fall wieder aufrollen – in Irland?«
    »Keine Ahnung. Du hast ihren Blick nicht gesehen. Aber du kennst Regis.«
    »Das dürfen wir nicht zulassen.«
    »Honor«, meinte er sanft und sah ihr in die Augen. »Ich liebe dich, und ich liebe unsere Tochter, über alle Maßen. Ich würde alles tun, um ihr das zu ersparen.«
    »Ich weiß. Das hast du bereits getan.«
    »Und mit welchen Folgen? Sie ist von Schuldgefühlen zerrissen. Leidet unter Alpträumen. Lass uns einfach hören, wie es ihrer Meinung nach weitergehen soll. Ohne ihr zu sagen, was sie tun oder empfinden sollte. Es geht darum, loszulassen. Gemeinsam schaffen wir das.«
    »Das heißt, du bleibst?«
    »So lange, wie du mich hier haben möchtest. Du hast gerade gesagt, dass wir uns gegenseitig brauchen. Ich
weiß
, wie sehr ich dich brauche.«
    Honor nickte und schlang die Arme um ihn; er küsste sie, erfüllte sie mit Stärke und ließ sie wissen, dass sie nicht mehr allein war, dass sie vielleicht nie alleine gewesen war.
    »Chris wartet. Komm, lass uns mit ihm reden. Er wird uns sicher sagen können, wie wir am besten vorgehen.«
    Honor nickte; John hatte recht. Ihre bloßen Füße waren im Sand eingegraben, und einen Moment lang verspürte sie nicht den geringsten Wunsch, sich von der Stelle zu rühren. Eine kühle Brise wehte vom Sund herüber. Sie zitterte, dann warf sie einen letzten Blick auf Johns Labyrinth.
    Als sie sich auf den Weg machten, griff sie in die Tasche ihrer Jeans, holte eine Handvoll Mondsteine heraus, die sie gesammelt hatte, und legte sie in seine geöffnete Handfläche.
    Johns Blick wanderte den Hügel hinauf, nahm die Steinmauern wahr, die sich kreuz und quer über das Land der Akademie erstreckten. Sie waren dunkel im Dämmerlicht, mit funkelnden Quarz- und Glimmerpartikeln, wie Sternschnuppen, die auf die Erde gefallen waren und sich in den Mauern verfangen hatten.
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