Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wie Sand in meinen Händen

Wie Sand in meinen Händen

Titel: Wie Sand in meinen Händen
Autoren: Luanne Rice
Vom Netzwerk:
seine Stimme, bevor sie ihn kommen sah, und drehte sich um. Er stand auf der Böschung – in denselben Jeans, dem T-Shirt und alten Laufschuhen, die er getragen hatte, als er auf das Polizeirevier gebracht worden war.
    »Ich habe auf dich gewartet.«
    »Die Flut setzt ein.«
    »Ja.« Ihr Mund war trocken. »O Gott, John. Was ist passiert? Was wollten sie von dir?«
    »Ich muss dir etwas sagen.«
    »Was?«
    »Kann ich zu dir hineinkommen und es dir erzählen?«, fragte er.
    Honor nickte, machte Platz in der Mitte des Labyrinths. Sie sah, wie er die Schuhe abstreifte, von der Böschung heruntersprang und zum äußeren Kreis ging. Doch statt dem Weg zu folgen, der im Kreis verlief, trat er über die Steinlinien, nahm die Abkürzung, um zu ihr ins Zentrum zu gelangen. Er streifte ihre Schulter, als er sich neben sie setzte, dann schien er sich zu sammeln; offenbar überlegte er, wie er ihr beibringen sollte, was er zu sagen hatte.
    Sie kannte ihn durch und durch; seine Berührung war vertraut und neu zugleich. Sein Blick, in dem sich Freude und Kummer spiegelten, erschien ihr beinahe so sorgenvoll wie in Irland, als er abgeführt wurde. Was war auf dem Revier geschehen? Hatte er gegen irgendwelche Auflagen verstoßen, drohte ihm die Rückkehr ins Gefängnis?
    »Was ist, John? Sag es mir, ich halte es nicht mehr aus.«
    »Ich habe gerade mit Regis gesprochen.«
    »Bernie hat mir Bescheid gesagt, dass sie in der Bibliothek war. Ich wollte ihr die Gelegenheit geben, eine Weile allein zu sein. Die Trennung von Peter ist gewiss ein tiefer Einschnitt in ihrem Leben. Ich möchte nicht, dass sie merkt, wie froh ich darüber bin, deshalb halte ich lieber Abstand. Ich habe Angst, sie könnte mir die Erleichterung von den Augen ablesen.«
    »Das war nicht der Grund für ihr Verschwinden.«
    »Nein?«
    Er hielt inne, suchte nach den richtigen Worten.
    »Ist es deinetwegen? Weil ich gestern Abend im Kino aus der Haut gefahren bin? Ich weiß, dass sie sich furchtbar darüber aufgeregt hat … und es tut mir sehr leid. Ich habe überreagiert. Ich dachte –«
    »Das ist es nicht«, unterbrach John sie. »Es hat mit Ballincastle zu tun. Und dem, was dort geschehen ist …«
    »Wovon redest du?« Sie erstarrte, sein Tonfall machte ihr Angst.
    »Von etwas, woran Regis sich gerade erinnert hat. Honor, du wirst mit Sicherheit sagen, ich hätte dir die Wahrheit sagen sollen, und vielleicht hast du recht. Aber ich wollte nicht, dass sie noch mehr leidet, oder du.«
    »Um was geht es überhaupt, John?«
    »An dem Tag, als Greg White auftauchte …«
    »Er hat Regis und dich angegriffen.«
    »Du weißt, was ich der Polizei gesagt habe.« Er sah sie an, beobachtete ihre Reaktion.
    »Dass es Notwehr war. Das war es doch, oder?«
    »Es war Regis.« Seine Stimme war so leise, dass sie ihn kaum hören konnte.
    »Was sagst du da?« Sie spürte, wie eine Gänsehaut über ihren Rücken lief.
    »Sie hat sich auf ihn gestürzt, Honor. Um zu verhindern, dass er mich umbringt. Sie hat ein Stück Treibholz aufgehoben und ihm damit einen Schlag versetzt. Dabei ist er von der Klippe gestürzt. Und wir mit ihm.«
    »Regis – Regis hat ihn erschlagen?«, fragte sie fassungslos. »Ihn
getötet

    »Ja.«
    »Oh Gott.« Honors Herz klopfte, als sie an Regis dachte; sie war damals erst vierzehn gewesen. Sie musste Todesängste ausgestanden haben. Und all ihren Mut zusammengenommen haben … Honor ballte die Faust, ihre Finger umschlossen den Ring, den sie vorhin übergestreift hatte. »Warum hat sie mir nichts davon erzählt?«
    »Weil sie sich nicht erinnern konnte. Es ging alles so schnell, wie im Nebel – und sie war noch so jung und konnte das Geschehen nicht verarbeiten – das ist nicht einmal mir gelungen.«
    »Und warum hast du mir nichts gesagt?«
    »Ach Honor. Ich habe instinktiv gehandelt. Ich wollte sie um jeden Preis schützen, sie nicht weiter in die Sache hineinziehen. Ich habe mir auch so schon genug Sorgen um sie gemacht. Ich dachte, wenn ich es dir oder jemand anderem erzähle, würde alles nur noch komplizierter werden. Wir hätten eine Einigung finden müssen, wie es weitergehen sollte. Deshalb habe ich die Entscheidung alleine getroffen.«
    »O Gott, John.«
    »Ich konnte Regis nicht als Entlastungszeugin benennen, um auf Notwehr zu plädieren. Dann hätte man sie vielleicht stundenlang durch die Mangel gedreht, und der Gedanke war mir unerträglich. Es gab nur zwei Zeugen – sie und mich. Und was mein Wort in ihren Augen wert
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher