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Wie man mit einem Lachs verreist

Wie man mit einem Lachs verreist

Titel: Wie man mit einem Lachs verreist
Autoren: Umberto Eco
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ist die Wahl zum
    AvoKaVo auf die Dauer nicht zu vermeiden, unabhängig vom Willen des Kandidaten. Will ihn der Künstler, so wird es dem potentiellen AvoKaVo nicht gelingen, sich der Aufgabe zu entziehen, es sei denn, er wählte die Emigration in einen anderen Kontinent. Hat er dann akzeptiert, so muß er sich eine der folgenden AvoKaVo-Motivationen aussuchen:
    A) Bestechung (sehr selten, denn wie man sehen wird, gibt es weniger aufwendige Motivationen). B) Sexuelle Gegenleistung.
    C) Freundschaft, in den beiden Versionen der wirklichen Sympathie oder der Unmöglichkeit, sich zu verweigern. D) Geschenk einer Arbeit des Künstlers (nicht identisch mit der folgenden Motivation, also mit der Bewunderung für den Künstler, denn man kann ja auch wünschen, Bilder geschenkt zu bekommen, um sich mit ihnen einen verkäuflichen Stock anzulegen). E) Echte Bewunderung für die Arbeit des
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    Künstlers. F) Wunsch, den eigenen Namen mit dem des
    Künstlers zu assoziieren (eine fabelhafte Investition für junge Intellektuelle, denn der Künstler wird sich beeilen, ihre Namen in zahllosen Bibliographien künftiger Kataloge im In- und Ausland bekannt zu machen). G) Teilhaberschaft ideologischer oder ästhetischer oder auch kommerzieller Art an der
    Entwicklung einer Tendenz oder einer Kunstgalerie. Letzteres ist der heikelste Punkt, dem sich auch der ehern
    uneigennützigste AvoKaVo nicht zu entziehen vermag. Ein Literatur- oder Film- oder Theaterkritiker, der ein besprochenes Werk in den Himmel lobt oder in Grund und Boden verreißt, beeinflußt dessen weiteres Schicksal recht wenig: Der
    Literaturkritiker steigert mit einer guten Besprechung den Absatz eines Romans um ein paar hundert Exemplare; der
    Filmkritiker kann eine billige Pornokomödie zerpflücken, ohne dadurch zu verhindern, daß sie Unsummen einspielt, ebenso auch der Theaterkritiker. Der AvoKaVo hingegen erhöht durch seine Intervention die Notierungen sämtlicher Werke des Künstlers beträchtlich, manchmal in Sprüngen von eins auf zehn.
    Dies kennzeichnet auch die Lage des AvoKaVo als Kritiker: Der Literaturkritiker kann sich abfällig über einen Autor äußern, den er womöglich gar nicht kennt und der (in der Regel) die Publikation des Artikels in einer gegebenen Zeitung nicht zu kontrollieren vermag. Der Künstler hingegen bestellt und kontrolliert den Ausstellungskatalog. Selbst wenn er den AvoKaVo ermuntert: »Seien Sie ruhig streng«, ist die Lage de facto unhaltbar: Entweder man lehnt ab (doch wir haben
    gesehen, daß man nicht kann), oder man äußert sich
    mindestens freundlich. Oder verschwommen.
    Darum ist in dem Maße, wie der AvoKaVo seine Würde zu
    wahren und seine Freundschaft mit dem betreffenden Künstler zu retten trachtet, Verschwommenheit der tragende Grundzug aller Ausstellungskatalogvorworte.
    Nehmen wir einen imaginären Fall: den des Malers Prosciuttini, der seit dreißig Jahren ockerfarbene Flächen malt, darauf ein blaues gleichschenkliges Dreieck, dessen Basis parallel zum
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    unteren Rand des Bildes verläuft und dem sich ein rotes ungleichseitiges Dreieck, schräg nach unten rechts geneigt, transparent überlagert. Der AvoKaVo muß nun der Tatsache Rechnung tragen, daß Prosciuttini sein Bild, entsprechend dem jeweils herrschenden Zeitgeist, von 1950 bis 1980
    nacheinander folgendermaßen betitelt hat: „Composition“, „Zwei plus Unendlich“, „E = Mc²“, „Allende, Allende, il Cile non si arrende!“, „Le Nom du Père“, „A/traverso“, „Privato“. Wie kann sich der AvoKaVo angesichts dieser Lage ehrenvoll aus der Affäre ziehen? Leicht, wenn er ein Dichter ist: Er widmet dem Künstler ein kleines Gedicht. Zum Beispiel:
    Pfeilgleich
    (O grausamer Zenon!)
    schnellt
    ein andres Geschoß.
    Abgezirkelte Parasange
    eines maladen Kosmos
    krankend an farbigen
    Schwarzen Löchern.
    Eine blendende Lösung, prestigefördernd für den AvoKaVo wie für den Künstler, für den Galeristen wie für den künftigen Käufer.
    Die zweite Lösung ist ausschließlich den Erzählern vorbehalten und kann zum Beispiel die Form eines frei ausgreifenden offenen Briefes annehmen:
    »Lieber Prosciuttini, beim Anblick Deiner Dreiecke ist mir, als wäre ich unversehens in Uqbar, wie bezeugt von Jörge Luis ...
    Ein Pierre Menard, der mir Gebilde, neugeschaffen in anderen Zeiten, vorsetzt: Don Pythagoras de la Mancha. Laszivitäten, um hundertachtzig Grad gedreht - wird es uns jemals gelingen, uns von der Notwendigkeit zu befreien?
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