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... Wie Gespenster in der Nacht

... Wie Gespenster in der Nacht

Titel: ... Wie Gespenster in der Nacht
Autoren: Emilie Richards
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Fiona überraschte sich selbst damit, dass sie jetzt ehrlich lächelte. Dabei dachte sie, sie hätte jedes echte Lächeln auf dem sicheren Erdboden zurückgelassen. „Ja, das ist das neueste Buch.“ Um genau zu sein, es war so neu, dass es noch nicht im Handel erhältlich war. Fiona war die Autorin der Bücher. Vorhin erst, gerade, als sie aus dem Haus gehen wollte, um zum Flughafen zu fahren, waren ihr die ersten Exemplare frisch aus der Druckerei geliefert worden.
    Das Mädchen lehnte sich weit herüber und schaute mit zusammengekniffenen Augen auf den Buchdeckel. „Sieht aus, als hätte Stardust einen Freund gefunden.“
    „Ich vermute, sie hat sich endlich entschieden, auf die andere Seite des Sees zu schwimmen und nachzusehen, ob dort nicht noch eine andere Familie von Wasserdrachen lebt.“
    „Aber sie hatte doch immer solche Angst, ihre Höhle zu verlassen! Sie hatte Angst davor, irgendwo anders hinzuschwimmen.“
    Wortlos reichte Fiona dem Mädchen das Buch, und die Kleine nahm es aufgeregt entgegen. Erst nachdem es die erste Seite verschlungen hatte, hob es wieder den Kopf, angestrengt bemüht, ganz schrecklich gelangweilt zu wirken. „Ich lese es schnell und sage dir dann, ob es gut ist oder nicht.“
    „Einverstanden. Ich weiß, du wirst mir deine ehrliche Meinung sagen.“ Fiona lehnte sich zurück und schloss die Augen.
    Es gab viele Wege für die Drachen, ans gegenüberliegende Ende des großen Wassers zu gelangen. Und so viele verschiedene Arten. Schwimmen war nur eine davon.
    Neben sich, auf der anderen Seite des Ganges, hörte Fiona ein Kichern und das Rascheln einer umgeschlagenen Buchseite. Und sie fragte sich das, was sie sich in jeder Minute gefragt hatte – seit dem Tag, an dem sie mit der Planung für ihre Flucht begonnen hatte: nämlich wie sie mit der Welt jenseits ihrer Höhle fertig werden würde.
    Es war nicht Andrews Schuld, dass seine Kleider nach Rauch rochen. Unter seinen Fingernägeln saß ein schwarzer Ascherand, seine Hände zitterten. Mehrmals hatte er sie in dem Haus neben der Unfallstelle geschrubbt, trotz der wunden Haut. Hatte sie mit der Reinigungspaste abgerieben, die angeblich alles entfernte, wahrscheinlich einschließlich der obersten Hautschicht. Doch die Asche und die Brandblasen würden sich mit Sicherheit noch eine ganze Weile halten.
    Genau wie die Bilder in seinem Kopf.
    Er war niemand, der sich leicht aus der Ruhe bringen ließ. Seit seinem Universitätsexamen arbeitete er auf Ölplattformen in der Nordsee, und er hatte mehr als genug Katastrophen miterlebt. In seiner Zeit als Taucher hatte er den Leichnam eines Kollegen gefunden, eingequetscht zwischen zwei Ölleitungen, für immer eingegangen ins Reich des Klabautermanns. Als Ingenieur auf der Bohrinsel hatte er hilflos mit ansehen müssen, wie ein Norweger, ein Bär von einem Mann, von einem Neunzig-Knoten-Orkan von der Plattform direkt nach Walhalla geweht worden war. Er hatte sich als Freiwilliger zu Rettungsmissionen an Land und zu Wasser gemeldet und sich niemals gedrückt, wenn er zum Einsatz gerufen worden war.
    Doch die Tragödie, die er heute Nachmittag miterlebt hatte, ließ ihn sich wünschen, er könnte am Straßenrand anhalten und einfach die Tränen laufen lassen.
    Nun, er konnte den Wagen nicht an den Straßenrand lenken. Er war schon viel zu spät dran. Er hatte Duncan Sinclair versprochen, Fiona, seine Schwester, nicht am Prestwick Airport warten zu lassen. Ihm war die Verantwortung für Fionas Sicherheit übertragen worden. Die zarte, scheue Fiona, die nur selten ihr Heim in New York verließ. Fiona, die mit fünfundzwanzig eine Reise antrat, die sie gleich wieder nach Hause führen könnte, wenn Andrew nicht bald am Flughafen auftauchte.
    Für jemanden, der in Eile war, fuhr er geradezu lächerlich langsam. In der letzten Stunde hatte die Tachonadel nicht einmal die erlaubte Geschwindigkeit angezeigt. Jedes Mal, wenn Andrew das Gaspedal tiefer durchdrückte, blitzten sofort Bilder von zerfetztem Metall und schwarzen qualmenden Rauchwolken vor seinem geistigen Auge auf.
    Und er hörte das Weinen eines Kindes.
    Immerhin passte der restliche Verkehr sich seinem Schleichtempo an, als er sich Prestwick näherte. Jetzt konnte er nichts anderes mehr tun, als sich für die Ausfahrt einzuordnen und der Schlange bis zum Flughafenparkplatz zu folgen. Als er die Wagentür abschloss und auf das Ankunftsterminal zurannte, stand Fionas Maschine schon seit über einer Stunde auf dem Boden.
    Prestwick
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