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... Wie Gespenster in der Nacht

... Wie Gespenster in der Nacht

Titel: ... Wie Gespenster in der Nacht
Autoren: Emilie Richards
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dass sie einmal, ein einziges Mal, ihr Schicksal ebenso klar vor sich sah wie Mara.
    „Ich würde gern auf Mrs. MacBrides Bemerkung antworten, wenn ich darf.“ Sie war bei Duncans Seite angekommen. Er setzte sich nicht, nickte nur knapp, blieb aber neben ihr stehen, als befürchte er, sie könnte jede Sekunde zusammenbrechen. Sie schaute ihm direkt in die Augen. „Mir geht’s gut, du kannst dich ruhig setzen.“ Er wirkte nicht überzeugt. Sie legte ihre Hand auf seine. „Nun geh schon.“
    Er zuckte mit den Schultern und steuerte auf seine Bank zu. Erst als er saß, fand Fiona die Kraft, sich ihrem Publikum zuzuwenden. Es waren so viele. Einen Moment lang verschlug es ihr die Sprache.
    „Sie hat ebenso wenig Recht, hier zu sprechen“, tönte Darla MacBride lautstark.
    Das war alles an Anstoß, was Fiona benötigte. „Das ist also Ihre Ansicht?“ Sie ließ den Blick über die Anwesenden schweifen, und ihre Angst schwand. Sie bebte vor Zorn, und doch waren das hier ihre Leute, mit allen Fehlern und Schwächen, die sie hatten. Sie war nicht unter ihnen groß geworden, dennoch gehörte sie dazu, wie sie nie zu anderen Menschen gehören würde.
    Langsam ging sie auf die erste Reihe zu. Wieder war es still geworden, selbst die Babys quengelten nicht, die kleinen Kinder sahen mit offenem Mund zu ihr hin.
    Mit einer Hand zupfte sie an der Manschette ihrer Bluse. Die Manschette, die so perfekt die Wahrheit verbarg, mit der sie leben musste. Sie befühlte den dicken Stoff, und seltsamerweise gab es ihr Mut. Sie hatte gelitten. Wie dieses wunderbare alte Dorf hatte sie gelitten. Das Feuer und alles, was danach passierte, hatten das Bild von Druidheachds Zukunft viel klarer in ihrem Kopf werden lassen. Sie wusste besser als vielleicht jeder andere hier, was es hieß, Wurzeln, Familie und die eigene Geschichte zu verlieren.
    „Duncan wurde hier geboren. Ich wurde hier geboren“, sagte sie. Ihre Stimme klang klar und fest. Sie wusste, dass man sie auch in der hintersten Bank gehört hatte.
    „Na und?“, trumpfte Darla auf. „Das bedeutet nicht viel!“
    Zum ersten Mal, seit sie nach vorn gegangen war, sah Fiona zu Andrew. Er wollte, dass sie sich wieder setzte, das fühlte sie. Er wollte nicht, dass sie litt, nicht für das hier, nicht für ihn. Aber er wusste ja nicht, dass sie gar nicht litt.
    Sie würde nie wieder leiden.
    Sie blickte Darla offen ins Gesicht. „Ich wäre auch fast hier gestorben, Mrs. MacBride. Und das bedeutet doch sicherlich etwas, oder? Das gibt mir das Recht, hier als eine von euch zu sprechen. Es war mir vorbestimmt, hier aufzuwachsen, nur habe ich nie die Chance dazu erhalten. Dieses Dorf und jeder seiner Bewohner wurden aus meinem Leben gestrichen, genau, wie das Dorf selbst nun aus eurem Leben gestrichen werden soll. Nun, ich bin zurückgekommen, und jetzt weiß ich auch genau, weshalb. Ich bin zurückgekommen, um euch klarzumachen, was ihr verliert, wenn ihr diesen Wahnsinn nicht aufhaltet.“
    Sogar Darla MacBride hielt die Klappe.
    In leidenschaftlichen Worten begann Fiona das Bild zu malen, das sie vor ihren Augen sah. Sie beschrieb, wie es gewesen war, als Kind das Dorf zu verlassen und als erwachsene Frau wieder zurückzukehren. Sie erzählte von ihrem ersten Ausflug auf den Bein Domhain und von ihrer ersten Fahrt über den Loch Ceo. Sie zeichnete ein Bild von den altehrwürdigen Häusern im Dorf und der murmelnden Musik des kleinen Bachs, der durchs Dorf floss. Sie sprach von den Wolken, die manchmal so tief hingen, dass sie die Erde zu berühren schienen, und vom Regen, der alles wieder sauber und frisch erstrahlen ließen.
    „Hier lebt die Magie.“ Sie ging zu Darla hinüber und stellte sich direkt vor sie. „Aber nicht jeder kann diese Magie auch erkennen. Ob es jemand verdient hat, auf dieser Versammlung zu Wort zu kommen oder nicht, darf nicht an der Zeit gemessen werden, die man in diesem Dorf gelebt hat – sondern ob er die Fähigkeit besitzt, die Magie zu erkennen.“
    Darla hielt die Luft an.
    Fiona drehte sich von ihr ab und wandte sich lächelnd Mara zu. „Hier leben Geister und Feen. Im See schwimmt ein geheimnisvolles Wesen, das uns leider viel zu selten mit seiner Gesellschaft beehrt. Doch hier gibt es zudem etwas viel Wichtigeres: Hier hält man die Tradition noch in Ehren, hier herrscht Mitgefühl und Verständnis für den anderen, und hier kann man aus einem unerschöpflichen Quell von Erinnerungen schöpfen und auf eine jahrhundertealte Geschichte
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