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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt?
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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Ansammlungen von Menschen, die sich genetisch fremd sind, bis hin zu den heutigen Nationen, internationalen Bewegungen und anderen »imaginären Gemeinschaften« fiktiver Verwandter – scheint von der »Macht des Grotesken« abzuhängen, wie Kierkegaard es nannte – ein Beispiel ist Abrahams Bereitschaft, seinem Lieblingssohn die Kehle durchzuschneiden und so seine Verpflichtung gegenüber einer unsichtbaren, namenlosen Gottheit unter Beweis zu stellen, womit er nicht zu einem Kinderschänder, potentiellen Mörder oder Psychotiker wurde, sondern zum größten kulturellen Held der Welt. Die stärksten sozialen Bindungen und Taten der Menschen, darunter die Fähigkeit zur Kooperation und Vergebung, aber auch zum Töten und Sich-töten-Lassen, sind aus dem Engagement für Anliegen und Handlungsweisen geboren, die »unaussprechlich sind«, das heißt, sie sind grundsätzlich immun gegen die logische Einschätzung ihrer Widerspruchsfreiheit und die empirische Bewertung von Kosten und Folgen. Je weniger das Engagement und die Hingabe für eine heilige Sache sich materiell erklären lassen – das heißt, je absurder sie sind –, desto größeres Vertrauen setzen andere in sie und desto stärker führt dieses Vertrauen auch bei ihnen zum Engagement.
    Natürlich haben Denker aller Richtungen sich darum bemüht, das Paradox (meist ideologisch motiviert und mit einer zu einfachen Geisteshaltung) zu erklären; häufig wollten sie zeigen, dass Religion gut oder – noch häufiger – unvernünftig schlecht ist. Wenn überhaupt, lehrt uns die Evolution, dass Menschen leidenschaftliche Lebewesen sind und dass die Vernunft als solche hauptsächlich nicht auf philosophische oder wissenschaftliche Wahrheiten zielt, sondern auf sozialen Sieg und politische Überzeugungskraft. Auf der Aussage zu beharren, eine fortgesetzte Rationalität sei das beste Mittel für einen Sieg über die andauernde Irrationalität und biete die größte Hoffnung, dass die logische Nutzbarmachung von Tatsachen eines Tages das Heilige beseitigen und damit die Konflikte beenden könnte, widerspricht allem, was die Wissenschaft uns über unser von Leidenschaften getriebenes Wesen sagt. In der gesamten Geschichte unserer Spezies wie auch bei den unlösbarsten Konflikten und dem größten kollektiven Ausdruck der Freude in unserer Zeit bestehen nur magere Aussichten darauf, dass eine nützlichkeitsorientierte Logik an die Stelle des Heiligen tritt.
    Für Alfred Russel Wallace war moralisches Verhalten (zusammen mit Mathematik, Musik und Kunst) ein Beleg, dass die Menschen sich nicht allein durch natürliche Selektion entwickelt haben: »Die besonderen Fähigkeiten, die wir erörtert haben, weisen eindeutig darauf hin, dass es im Menschen etwas gibt, das nicht von seinen Vorfahren, den Tieren, herstammt – etwas, das wir am besten als spirituelle Essenz bezeichnen können und das sich allen Erklärungen durch die Materie, ihre Gesetze und Kräfte entzieht.« [1]
    Seine Meinungsverschiedenheiten mit Darwin zu diesem Thema waren langwierig und veranlassten Letzteren irgendwann zum Protest: »Ich hoffe, Sie haben Ihr eigenes und mein Kind nicht allzu gründlich ermordet.« [2] Aber Darwin selbst lieferte keine kausale Erklärung dafür, wie die Menschen zu moralischen Tieren wurden; er sagte nur, unsere Vorfahren seien körperlich so schwach gewesen, dass sie sich nur mit der Stärke der Gruppe durchschlagen konnten. Religion und das Heilige, die so lange durch ideologische Voreingenommenheit aller Richtungen aus dem Bereich der vernünftigen Untersuchungen verbannt waren – vielleicht weil das Thema unseren Vorstellungen darüber, was wir sein wollen oder nicht sein wollen, so nahe ist –, sind für die Wissenschaft immer noch ein riesiges, verworrenes und im Wesentlichen unerforschtes Gebiet, und gleichzeitig ist es für die meisten Menschen überall in ihrem Alltagsleben so einfach und elegant.

Carlo Rovelli
Wie scheinbare Endgültigkeit entsteht
    Theoretischer Physiker, Centre de Physique Théorique, Universität Marseille; Autor von Quantum Gravity
    Darwin, kein Zweifel. Seine Erklärung ist von erstaunlicher Schönheit und Einfachheit. Ich bin sicher, dass auch andere die darwinistische natürliche Selektion als ihre tiefste, eleganteste und schönste Lieblingserklärung bezeichnet haben, aber ich möchte dennoch auf die allgemeine Reichweite von Darwins zentraler Erkenntnis hinweisen. Sie geht weit über die monumentale Erkenntnis hinaus, dass
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