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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt?
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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in Sinnessystemen vorgenommen hat, parallel auch für die Gene in Genpools vornehmen, die der natürlichen Selektion unterliegen? Das wäre dann wirklich tief greifend, elegant
und
schön.

Scott Atran
Die Macht der Absurdität
    Anthropologe, Centre National de la Recherche Scientifique, Paris; Autor von Talking to the Enemy: Faith, Brotherhood and the (Un)Making of Terrorists
    Die Vorstellung von einer transzendenten Kraft, die das Universum oder die Geschichte lenkt oder darüber bestimmt, was richtig und gut ist – und deren Existenz sich der Vernunft grundsätzlich entzieht und immun gegen eine logische oder empirische Falsifikation ist –, ist das einfachste, eleganteste und wissenschaftlich verblüffendste Phänomen, das ich kenne. Ihre Macht und Absurdität sorgen für mächtige Aufregung und haben eine sorgfältige wissenschaftliche Untersuchung verdient. In einer Zeit, in der viele der explosivsten und offensichtlich am wenigsten lösbaren Konflikte heilige Ursprünge haben, sind wissenschaftliche Kenntnisse darüber, wie man am besten mit dem Thema umgeht, von so entscheidender Bedeutung wie nie zuvor.
    Ob man es nun Liebe zur Gruppe oder zu Gott oder Hingabe an eine Idee oder eine höhere Sache nennt, spielt am Ende kaum eine Rolle. Es ist »der Vorzug der Absurdität, zu dem kein anderes Lebewesen als der Mensch befähigt ist«, schreibt Hobbes in seinem
Leviathan
. Darwin spricht in seinem Werk
Die Abstammung des Menschen
von einem »moralischen Gefühl«, mit dem die siegreichen Stämme in der Konkurrenzspirale der Geschichte besser zum Überleben und zur Herrschaft in der Lage sind. Im Gegensatz zu anderen Tieren definieren Menschen die Gruppen, zu denen sie gehören, mit abstrakten Begriffen. Oft streben sie danach, eine dauerhafte intellektuelle und emotionale Bindung zu anonymen anderen herzustellen und heldenhaft zu töten oder zu sterben, nicht um ihr eigenes Leben oder das ihrer Bekannten zu bewahren, sondern um einer Idee willen – im Interesse der Vorstellung, die sie sich von sich selbst, von dem, »wer wir sind«, gemacht haben.
    Heilige oder transzendente Werte und religiöse Ideen sind kulturell allgemein verbreitet, aber ihr Inhalt unterliegt bei den einzelnen Kulturen deutlichen Schwankungen. Heilige Werte kennzeichnen die moralischen Grenzen von Gesellschaften und bestimmen darüber, welche materiellen Transaktionen erlaubt sind. Materielle Überschreitungen des derart Erlaubten sind tabu: Menschen, die ihre Kinder oder ihr Land verkaufen, bezeichnen wir als Soziopathen; in anderen Gesellschaften gelten Ehebruch oder die Vernachlässigung der Armen als unmoralisch, nicht aber zwangsläufig auch der Verkauf von Kindern oder Frauen oder die Verweigerung der Meinungsfreiheit.
    Heilige Werte erlangen in der Regel nur dann eine große Bedeutung, wenn sie in Frage gestellt werden, ganz ähnlich wie Lebensmittel, die im Leben der Menschen nur dann einen überragenden Wert erlangen, wenn sie uns vorenthalten werden. Die Menschen in einem bestimmten kulturellen Umfeld sind sich häufig nicht bewusst, was für ein anderes heilig ist – und wenn sie sich dessen durch Konflikte bewusst werden, finden sie die Werte der anderen Seite (beispielsweise Embryonenschutz oder Entscheidungsfreiheit der Mutter) unmoralisch und absurd. Solche Konflikte lassen sich nicht vollständig auf säkulare Interessenberechnungen zurückführen, sondern man muss sich mit ihnen in ihren eigenen Begriffen beschäftigen, mit einer Logik, die sich von der des Marktes oder der Realpolitik unterscheidet. So weisen beispielsweise kulturübergreifende Belege darauf hin, dass die Aussicht auf drückende wirtschaftliche Lasten und eine Riesenzahl von Toten die Menschen nicht unbedingt davon abhält, sich für einen Krieg zu entscheiden oder sich einer Revolution oder Widerstandsbewegung anzuschließen. Wie Darwin feststellte, tun die Tugendhaften und Tapferen unabhängig von den Folgen das Richtige, weil es einen moralischen Imperativ darstellt. (Die Untersuchung des Gehirns mit bildgebenden Verfahren liefert sogar aufschlussreiche Indizien, wonach Menschen heilige Werte in Gehirnabschnitten verarbeiten, die nicht den Nützlichkeitsberechnungen, sondern regelgebundenen Verhaltensweisen gewidmet sind – man denke nur an die Zehn Gebote oder die Bill of Rights.)
    In der Entstehung großer Gesellschaften liegt ein scheinbares Paradox. Der religiöse und ideologische Aufstieg der Zivilisationen – immer größerer
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