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Wie funktioniert die Welt?

Wie funktioniert die Welt?

Titel: Wie funktioniert die Welt?
Autoren: John Brockman , Herausgegeben von John Brockman
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Phänomene in Natur und Gesellschaft. Dieses Prinzip besagt, dass wir uns nicht auf die Autorität anderer verlassen, sondern selbst hinsehen sollen. Empirismus ist die Grundlage der Naturwissenschaft; das Motto der Londoner Royal Society – der ersten naturwissenschaftlichen Gesellschaft – lautet:
Nullius in Verba – schwöre auf niemandes Worte
.
    Galilei verließ sich auf niemandes Worte. Nach der aristotelischen Kosmologie, der letzten, unbestreitbaren Autorität in Sachen aller himmlischen Dinge für die katholische Kirche, mussten sämtliche Objekte im All vollkommen rund und vollkommen glatt sein und sich in vollkommen kreisförmigen Bahnen um die Erde bewegen. Als Galilei aber selbst durch seine winzige Röhre blickte, die an einem Ende eine Brechungslinse und am anderen ein vergrößerndes Okular trug, sah er Berge auf dem Mond, Flecken auf der Sonne, die Phasen der Venus, Monde, die den Jupiter umkreisten, und ein seltsames Objekt rund um den Saturn. Cesare Cremonini, Galileis angesehener Astronomenkollege an der Universität Padua, war so stark in der aristotelischen Kosmologie verhaftet, dass er sich weigerte, überhaupt durch das Rohr zu schauen; er erklärte: »Ich glaube nicht, dass irgendjemand außer ihm sie gesehen hat, und außerdem wird mir schwindlig, wenn ich durch Linsen blicke.« Diejenigen, die den Blick durch Galileis Röhre wagten, konnten ihren Augen buchstäblich nicht glauben. Ein Kollege Galileis berichtete, das Instrument eigne sich für die Betrachtung der Erde, aber nicht zur Beobachtung des Himmels, denn er habe dieses Instrument von Galilei auf tausenderlei Weise geprüft, sowohl an Dingen unten auf der Erde als auch an jenen hoch oben. Unten funktioniere es großartig; im Himmel täusche es einen. [49] Ein Mathematikprofessor des Collegio Romano war überzeugt, Galilei habe die vier Jupitermonde in der Röhre angebracht. Galilei raste vor Zorn: »Als ich den Professoren in Florenz die Satelliten des Jupiter zu zeigen wünschte, wollten sie weder sie noch das Teleskop sehen. Diese Leute glauben, man könne Wahrheit nicht in der Natur suchen, sondern nur im Vergleich von Texten.« [50]
    Galilei, Kepler, Newton und andere sahen selbst nach und setzten so die naturwissenschaftliche Revolution in Gang. Sie veranlasste die Gelehrten der Aufklärung dazu, das Prinzip des Empirismus nicht nur auf die Natur, sondern auch auf die Gesellschaft anzuwenden. Der große politische Philosoph Thomas Hobbes zum Beispiel betrachtete sich selbst als eine Art Galilei und William Harvey der Gesellschaft: »Galileus … war der Erste, welcher uns das Tor zu einer allgemeinen Philosophie öffnete, welche das Wissen um die Natur der Bewegung ist … Die Wissenschaft vom Körper des Menschen, der gewinnbringendste Teil der Naturwissenschaft, wurde zuerst mit bewundernswertem Scharfsinn von unserem Landsmann entdeckt, Doktor Harvey … die Naturphilosophie ist also noch jung; viel jünger ist aber die Staatsphilosophie, denn sie ist nicht älter … als mein eigenes Werk
De Cive
.« [51]
    Von der naturwissenschaftlichen Revolution und über die Zeit der Aufklärung hinweg trat das Prinzip des Empirismus langsam, aber unaufhaltsam an die Stelle von Aberglauben, Dogmatismus und religiöser Autorität. Statt die Wahrheit mit der Autorität eines uralten heiligen Buches oder philosophischen Abhandlungen zu weissagen, begannen die Menschen, selbst das Buch der Natur zu erkunden.
    Statt sich die Illustrationen illuminierter botanischer Werke anzusehen, gingen die Gelehrten hinaus in die Natur und betrachteten, was tatsächlich aus der Erde spross.
    Statt sich auf die holzschnittartigen Abbildungen sezierter Körper in alten medizinischen Texten zu verlassen, öffneten die Ärzte selbst Leichen und sahen mit eigenen Augen nach, was sich darin befand.
    Statt Hexen zu verbrennen, nachdem man die gespenstischen Indizien berücksichtigt hatte, wie sie im
Malleus maleficiarum
, dem maßgeblichen Handbuch für Hexenjäger, beschrieben wurden, zogen die Juristen nun andere, zuverlässigere Indizien in Betracht, bevor sie jemanden wegen eines Verbrechens verurteilten.
    Statt einer winzig kleinen Elite, die sich an der politischen Macht hielt, indem sie dafür sorgte, dass ihre Bürger ungebildete, unaufgeklärte Analphabeten blieben, konnten die Menschen nun selbst durch die Wissenschaft, die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben, und durch die Bildung sehen, welche Macht und Korruption sie geknechtet hatte,
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