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Wie Feuer im Regen

Wie Feuer im Regen

Titel: Wie Feuer im Regen
Autoren: Sophie Oliver
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darüber, dann trug er alles Wohnzimmer und stellte es auf den niederen Couchtisch. Bevor sie aßen, schenkte er Rotwein in zwei bauchige Gläser und gab Anne eines davon.
    "Darauf, dass es dir wieder gut geht", prostete er ihr zu.
    Nach dem Essen, dachte Anne. Sie würde es ihm nach dem Essen sagen.
    Der Abend war wunderschön. Es fühlte sich beinahe an, als wären sie wieder in Cornwall.
    Da draußen ein kalter Wind wehte, machte Marc Feuer im großen Kamin.
    Anne mochte seinen Einrichtungsstil. Er war schnörkellos und modern, aber mit vielen Pflanzen und verschiedenen hellen Texturen, was Möbel, Teppiche und Böden anging. Bei der Renovierung der Stadtvilla hatte er die alte Feuerstelle im Wohnzimmer zu einem breiten, gläsernen Kamin umbauen lassen, so dass man das Feuer von allen Seiten sehen konnte. Es war wie ein Lagerfeuer, mitten im Haus. Eine Weile blicken sie stumm in die Flammen, genau wie damals am Strand und ein jeder hing seinen Gedanken nach.
    "Ich möchte dir etwas zeigen", sagte er schließlich. Er stand auf und hielt ihr die Hand hin. "Es ist oben, im ersten Stock."
    Sie folgte ihm die Treppe hinauf. Kurz dachte sie, er machte Scherze und würde sie in sein Schlafzimmer führen, aber stattdessen öffnete er eine kleine Tür, die ihr noch nie aufgefallen war. Von aussen sah sie aus, wie alle anderen Türen im Haus, aber auf der Innenseite befanden sich Metallverstärkungen, die sie an einen Tresorraum erinnerten. Rings um an den Wänden hingen zahlreiche Zeichnungen und Skizzen. In einer Ecke summte ein Klimagerät, welches Temperatur und Luftfeuchtigkeit konstant im optimalem Bereich hielt. Er gab keine Möbel. Nur einen schlichten hölzernen Hocker, der im Zentrum des Raumes auf dem Eichenparkett stand.
    Marc drehte das Licht etwas heller, damit sie die Kunstwerke besser sehen konnten.
    Staunend ging Anne von Bild zu Bild. Da gab es Entwürfe von Flugmaschinen, anatomische Zeichnungen, die offenbar mit einer sehr dünnen Feder detailgenau menschliche Körperteile darstellten und Portraits von wunderschönen Gesichtern, die aussahen, wie Engel.
    Vor dem Bild einer jungen Frau hielt sie inne. Die Locken, die das Gesicht umrahmten, waren mit so feinen Rötelstrichen gezeichnet, dass es unfassbar plastisch wirkte.
    "Ihr Mund sieht so echt aus", flüsterte Anne. "Wie kann man nur etwas so Wundervolles auf ein leeres Blatt bringen? Mir fällt nur ein Künstler ein, der zu all diesen Meisterwerken fähig wäre. Sag mir nicht, dass das Originale sind. Das wäre zu phantastisch!"
    "Doch", nickte Marc, "Wenigstens hoffe ich das. Leonardo da Vinci wird und wurde oft gefälscht, aber die Zertifikate sollten die Echtheit eigentlich garantieren."
    Überwältigt sank Anne auf den Hocker. "Aber das ist ja eine aussergewöhnliche Sammlung! Nicht nur dass sie sicherlich viele Millionen wert ist - sie ist so umfassend. So einzigartig!"
    "Ich weiß. Anfangs hatte ich gar nicht vor, so viele Bilder zu sammeln. Aber dann wurden es immer mehr. Wenn ich mir vorstelle, dass er das gemalt hat, lange bevor der Kontinent auf dem ich geboren wurde überhaupt entdeckt war... dann fühle ich mich irgendwie geerdet. Zurück auf dem Boden der Tatsachen, der besagt, dass vieles, was wir wichtig nehmen, total irrelevant ist. Verstehst du, was ich meine?
    Ich komme immer nach der Arbeit hierher, egal wie lang der Tag war, egal wie unangenehm oder wie erfolgreich. Dann sitze ich hier und starre auf die Bilder. So lang, bis ich an nichts anderes mehr denke."
    Obwohl der Hocker schmal war, konnten sie gerade so nebeneinander darauf sitzen. Sie sahen in das Gesicht der jungen Frau, die vor so langer Zeit gelebt hatte. Oder vielleicht auch nicht. Vielleicht war sie nur ein Produkt von Leonardos Phantasie.
    Dieser kleine Raum mit seinen Schätzen bedeutete Marc das, was für Anne das Klavierspiel war. Noch nie hatte er ihr einen derartigen Einblick in sein Seelenleben gestattet.
    "Ich muss zurück nach Australien." sagte er unvermittelt in die Stille.
    "Was?" Anne erschrak. "Wann? Für wie lange?"
    "Schon bald. Mein Vater will sich zur Ruhe setzen und wird mir die komplette Konzernleitung übergeben. Ich komme nicht zurück."
    Hitze stieg in Anne auf. Er würde London verlassen. Sie musste sich gar nicht von ihm trennen. Aber eigentlich wollte sie nicht, dass er so weit weg ging. Er saß einfach da und sagte ihr so etwas, in aller Ruhe. Als wenn das gar nichts wäre. Dabei war es schrecklich! Immerhin waren sie seit Monaten zusammen,
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