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Wie deutsch ist das denn?!

Wie deutsch ist das denn?!

Titel: Wie deutsch ist das denn?!
Autoren: Jürgen Ahrens
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vorausgesetzt, er merkt es endlich. Interessanterweise sind wir Deutschen übrigens die Ersten, die in ihrer ureigenen Sprache ein Wort für den griechischen Begriff » Kosmopolit « geprägt haben.
    In Oberbayern gibt es ein Dorf mit dem sinnigen Namen » Kreuzstraße « . Tatsächlich treffen dort sieben Landstraßen aus allen Himmelsrichtungen aufeinander, was für eine 113-Seelen-Ortschaft nicht gerade wenig ist. Ähnliches gilt sinngemäß auch für Deutschland: Unser Land belegt nach Einwohnern zwar nur Platz 14 der Weltrangliste und steckt flächenmäßig eher im Tabellenkeller, aber für Europa bildet es die wichtigste » Straßenkreuzung « , eine Drehscheibe der Völker, Sprachen und Kulturen. Schließlich haben wir sage und schreibe neun unmittelbare Grenznachbarn– das ist einmalig auf dem Kontinent und wird weltweit nur noch von den Giganten China, Russland und Brasilien übertroffen.
    Diese bemerkenswerte » Umzingelung « spiegelt sich in so ziemlich allem wider, was unsere Kultur, unsere Sprache und unsere sonstigen Errungenschaften ausmacht. Wahrscheinlich hat sie auch unsere Kreativität beflügelt: Immerhin verdankt die Welt den Deutschen eine Reihe bahnbrechender Erfindungen und Entdeckungen– wie die Druckerpresse, den Druckknopf, den Verbrennungsmotor, die Schallplatte, die Röntgenstrahlen, das Echolot, den Raketenantrieb, das Fernsehen, den Dübel, den Computer, das Faxgerät, den MP 3-Player, das Kegeln und das Schunkeln. Andererseits wurden viele vermeintlich deutsche Erfindungen in Wahrheit anderswo gemacht, und viele vermeintliche Facetten unseres Volkscharakters tragen bei näherem Hinsehen ausgesprochen multikulturelle Züge. Gerade die scheinbar typischsten Dinge– etwa das Sauerkraut, der Gartenzwerg, das Vereinswesen oder die Autobahn– stammen gar nicht aus Deutschland, sondern sind früher oder später als Importgüter zu uns gelangt. Andere, wie das Bier, Grimms Märchen oder die » deutsche « Eiche, teilen wir von jeher mit anderen Nationen.
    Auf den folgenden Seiten werden wir die Nase tief in die nationale Requisitenkammer stecken, der Herkunft der Fundstücke auf den Grund gehen und zahlreiche überraschende Fakten zutage fördern, die gängige Deutschland-Klischees als das entlarven, was sie sind: Klischees eben– teils ungenau, teils pauschalierend und teils völlig an den Haaren herbeigezogen. Seien Sie also gespannt auf eine Reihe von Aha-Effekten. Vielleicht bescheren sie Ihnen ein ganz neues Deutschlandbild– etwas lockerer, etwas globaler und auf jeden Fall differenzierter als bisher.
    So könnte am Schluss dieses Buches– trotz oder gerade wegen dieser Erkenntnisse– eine Frage stehen, die der amerikanisch-irische Schriftsteller Frank McCourt eigentlich auf die USA gemünzt hat: » Ist das nicht ein wundervolles Land? «
    [1] Momentaufnahme vom Mai 2013
    [2] Stern 26/2011.

Abendland
    Das Licht kommt woandersher
    Kein schöner Land in dieser Zeit
    als hier das unsre weit und breit …
    Es gibt, zumindest in der älteren Generation, wohl nur wenige Deutsche, denen die obigen Worte nicht das Herz erwärmen und die nicht die Melodie dazu summen können. Nebenbei bemerkt, stammt der Liedtext von einem Mann mit Migrationshintergrund, Anton Wilhelm von Zuccalmaglio (1803 – 1899). Aber sehen wir über diesen kleinen Webfehler mal hinweg– irgendwie trifft die viel gesungene Zeile doch eine kollektive Gemütslage. Klingt das konkurrenzlos schöne Land aus Zuccalmaglios Volksweise nicht auch wunderbar romantisch in dem urdeutschen Wort » Abendland « an? Hat dieses Wort nicht zugleich einen anheimelnden Unterton von Feierabend, während sein Gegenstück » Morgenland « eher unangenehme Gedanken an Weckerklingeln, Frühschicht und Terminstress wachruft? Und rührt das Attribut » abendländisch « (wahlweise auch » christlich-abendländisch « ) nicht an Heimatgefühle, die ein steifes Kunstwort wie » Leitkultur « nicht einmal im Ansatz aufkommen lässt?
    Von daher wundert es nicht, wenn beide Begriffsvarianten zum Lieblingsvokabular mancher konservativer Politiker gehören– als gefühlsbetonte Pendants zu den würdevolleren » westlichen Werten « und zur » deutschen Leitkultur « . Unter Konrad Adenauers Kanzlerschaft in den Fünfzigerjahren des vorigen Jahrhunderts verstieg man sich gar dazu, die NATO -Mitgliedschaft der jungen Bundesrepublik (Seite an Seite mit der Türkei!) ins abendländische Wertgefüge einzureihen. Tempi passati. Aber abgesehen davon,
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