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Wie deutsch ist das denn?!

Wie deutsch ist das denn?!

Titel: Wie deutsch ist das denn?!
Autoren: Jürgen Ahrens
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dass solche Schablonen in einer globalisierten Welt zunehmend angestaubt wirken– was ist eigentlich das Abendland? Und was macht das Abendländische an ihm aus?
    Bohrende Fragen. Also stopp, Heimatfilm auf Anfang. Historisch gesehen, kann das Gegenstück einen knappen Vorsprung für sich verbuchen: Martin Luther– dem das Deutsche übrigens viele neu erfundene Vokabeln verdankt– verwendete den Begriff » Morgenland « erstmals in seiner 1522 erschienenen Bibelübersetzung als Synonym für die Welt des Mittleren Ostens, also der Gebiete östlich von Palästina. Damit wurde das Wort zum fast sprichwörtlichen Attribut der drei Könige, die wir aus der Weihnachtsgeschichte kennen. Das Gegenstück » Abendländer « (im Plural) als Bezeichnung für die Nationen der westlichen Welt findet sich erst sieben Jahre später bei dem deutschen Theologen Kaspar Hedio.
    Natürlich haben weder Luther noch Hedio die Abgrenzung zwischen Ost und West erfunden– die gab es schon in der Antike, wie sich an den lateinischen Bezeichnungen » Orient « und » Okzident « für die auf- und untergehende Sonne ablesen lässt. An Sinn und Berechtigung einer solchen künstlichen Barriere darf man allerdings– zumindest aus heutiger Sicht– mit Fug und Recht zweifeln, verbindet sich damit doch häufig der unausgesprochene Hintergedanke, das Abendland sei dem Morgenland geistig-moralisch oder zivilisatorisch überlegen. Übersehen wird dabei gern, dass nahezu alles, was nach unserem Verständnis die westliche und somit auch die deutsche Zivilisation ausmacht, ursprünglich aus dem Orient stammt, also aus dem Morgenland im weitesten Sinne. Zufällig, aber passenderweise ist » Orient « ein direkter Verwandter des Begriffs » Original « , und der bedeutet genau das: ursprünglich.
    Das Christentum etwa, das mit dem Abendland scheinbar so unlösbar verknüpft ist, geht bekanntermaßen auf einen Israeli zurück – mithin einen Asiaten (der als bekennender Jude übrigens nie die Absicht hatte, eine neue Glaubensrichtung zu begründen). Zur Staatsreligion avancierte die katholische Lehre erstmals im Jahr 391 unter dem oströmischen Kaiser Theodosius in Konstantinopel, also auf dem Gebiet der heutigen Türkei. Und ausgerechnet eine der zentralen Gestalten des Katholizismus, Maria, findet sich später ausführlich im Koran wieder.
    Auch die Kenntnis der » alten Griechen « wurde uns von Morgenländern vermittelt: Fast die gesamte Wissenschaft der hellenistischen Antike, die ja ebenfalls einen Großteil unserer Kultur ausmacht, wäre spurlos im Dunkel der Geschichte verschwunden, hätten nicht Araber die alten Schriften im Mittelalter für die Nachwelt konserviert. Dass Hippokrates, Platon, Aristoteles, Archimedes und viele andere zu Säulen der humanistischen Bildung werden konnten, verdanken wir allein einer Riege fleißiger Übersetzer und Schreiber am » Haus der Weisheit « in Bagdad. Diese einflussreiche Akademie, gegründet im Jahr 825 von dem Kalifen Al-Ma’mun, war zu ihrer Zeit die Drehscheibe für das gesammelte Wissen der damals bekannten Welt. Zu dessen Niederschrift verwendete man übrigens schon damals Papier, das in Europa noch völlig unbekannt war– doch dazu später.
    Überhaupt war das » Abendland « nach dem Niedergang des Römischen Imperiums zunächst vergleichsweise arm dran– oder wie es der britische Historiker Ian Morris lakonisch ausdrückt: » Westeuropa war lange ein langweiliger Platz an der Peripherie, wo nicht viel passierte. « [3] Das trifft zumindest auf ein paar Jahrhunderte zu, auch wenn dann mit der Völkerwanderung eben jene Durchmischung einsetzte, die den späteren kulturellen Reichtum Europas und Deutschlands mitbegründete. Doch während sich aus diesem Amalgam erst langsam so etwas wie eine europäische Kultur herausbildete, war die arabische Welt bereits buchstäblich ein Mekka der Wissenschaften, erlebte China unter dem Tang-Kaiser Xuanzong eine einzigartige kulturelle Blüte und befand sich Indiens klassische Literatur auf ihrem Höhepunkt. Europa indes zehrte noch immer weitgehend von dem Erbe, das die verblichene römische Antike ihm hinterlassen hatte – und nicht zuletzt von den fruchtbaren Impulsen aus dem sogenannten Morgenland. Dass dessen Einflusssphäre zeitweise bis in die französische Charente und später bis kurz vor Wien reichte, kann man für unsere abendländische Kultur also durchaus als positiv verbuchen.
    Auch eine Reihe technischer Errungenschaften, auf die sich die
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