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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Autoren: Sasa Stanisic
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Vater bin ich weniger wert als ein ausgespuckter Kaugummi. Miki spricht gelassen, ich blicke zu Boden. Aber das geht so nicht!, schreit er plötzlich, das geht so nicht!, schreit er, das geht nicht, so nicht!, schreit er, schreit er, schreit er, das geht so nicht, nicht so! Miki hämmert mit der Faust gegen das Tor, hinter dem die Feuerwehrwägen parken, es ist ein einzelner Hieb.
    Ich nehme meinem Körper die Bereitschaft, sich aufzulehnen, nicht ab. Ich vertraue meinem Mund nicht, nachzufragen, erlaube meinen Augen keinen herausfordernden Blick,
meinem Gesicht keine strenge Miene, den Händen keine geballte Wut. Ich bin überragend im Beschreiben von Gesten.
     
    Miki fährt mit mir nach Hause. Oma trinkt Kaffee mit den Nachbarinnen. Frau Popović und Teta Magda tragen Schwarz und kritisieren die heraufziehenden Wolken. Frau Popović bedankt sich bei mir, dass ich vorbeigekommen sei, ich frage, wofür, sie sagt, ihr Mann spiele den ganzen Morgen Klavier, Regenstücke, ich sage: damit habe ich nichts zu tun – ich auch nicht, sagt sie.
    Oma möchte vorne fahren, Miki parkt aus, sie sagt: einmal hat Slavko für mich die Wohnung in Blumen gelegt, einmal hat er vor dem ZK, statt einer Rede, Rotkäppchen in einer eigenen Fassung vorgetragen, einmal hat er prophezeit, es kann nicht gut ausgehen, dass wir alle nur Ideale haben, aber keine Alternativen zu den Idealen, und einmal hat er darüber nachgedacht, mich zu betrügen, ich habe es an seinen Küssen geschmeckt.
    Kaum haben wir die asphaltierte Straße verlassen, gibt es kein Vorankommen mehr. So, sagt Miki und zieht die Handbremse. Die Löcher im Boden sind so zahlreich und so tief, dass auch das Laufen schwer fällt. Von den Seiten greifen Brombeerranken und wildes Gestrüpp nach uns, dornige Ranken, sogar Rosenstöcke, nur ein schmales Spalier bleibt, darüber haben junge Eichen ihre Zweige gekreuzt. Es wird schnell warm im Pflanzenkanal, der Wind trägt süß riechende Verwesung heran. Über uns schließen sich die Wolken zu einem regenschweren, grauen Mosaik.
    Es ist unglaublich, sage ich und schlage nach dem Summen um meinen Kopf, so viele Insekten im März.
    Ja, unglaublich, keucht Oma Katarina und zeigt auf das Gebüsch vor uns. Ich bleibe stehen. In das Dickicht gepackt, zwei, drei Meter über uns: die Karosserie eines gelben Yugos. Oma und Onkel laufen an dem gestrandeten Wagen vorbei, den allein Schlingen, Äste und Lianen in der Luft halten. Ich nähere mich vorsichtig dem in Dornenranken geschnürten
Wagen und reiße mir einen blutigen Striemen in den Unterarm, als ich ein paar Zweige zur Seite drücke, um einen Blick auf das Kennzeichen zu werfen. Unser alter Yugo, der ausnahmslos jedes Mal auf dieser Strecke stehen geblieben ist, Esel, Idiot, Kretin von einem Auto, wie ihn Vater dann nannte, hat seinen letzten Parkplatz gefunden. Ein Auto verliebt in einen Weg – anders kann ich mir das, was ich sehe, nicht erklären.
    Das Pflanzenspalier öffnet sich zu einer Wiese, hier hört der Weg auf, hier ist es noch nie weitergegangen, hier liegt Tau und auf den Gipfeln Schnee. Zum Haus meiner Urgroßeltern geht es bergauf durch den Pflaumengarten. Die Bäume wurden seit langem nicht mehr abgeschliffen, Grind und Moos haben sich an ihre Rinde gesaugt, Pilze sprießen am Fuß der Stämme. Wer denkt an was?, frage ich mich, als Oma, Onkel, dann ich, nacheinander über die Rinde eines der Bäume streichen.
    Im Hof zwischen Stall und Haus steht ein Tisch, das Tischtuch aus weißen Laken ist mit Steinen beschwert. Am Kopfende greift sich Ur-Opa Nikola in das lange Haar. Der Wind, Kinder, der Wind, singt er, fasst mein Kinn und meinen Schädel mit knochigen Fingern. Aleksandar, meine Sonne, singt er heiser, Miki, komm her, halt dich an mir fest, klagt er.
    Ur-Opa ist seltsam länglich geworden, barfuß sucht er Halt auf feuchtem Gras, wehrt sich gegen den Wind. Sein Gehrock, fleckig und zerknittert, reicht ihm kaum über die Hüften, das dunkle Gesicht von Moos und Pilz bewachsen – es sind nur Schatten. Er singt uns willkommen, es will aber kein Lied werden, Ur-Opas Stimme ist eine heisere Feile, die den Wörtern die Kraft abschleift.
    Ur-Oma hat das Haar geflochten und die Zöpfe zu einer Krone dunklen Silbers um den Kopf gewickelt. Sie sitzt im Schafsfellmantel, Blumenkittel und Wollstrümpfen über Gummistiefeln, breitbeinig auf dem großen Stein beim leeren Schweinegehege. Sie bleibt auch sitzen, als ich sie begrüße, bleibt sitzen, als ich sie umarme, ganz
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