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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Autoren: Sasa Stanisic
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weich ist sie, ich drücke
sie an mich, wie umarmt man jemanden, der federleicht ist und steinalt, wie fest darf man drücken?
    Ur-Oma? Ich berühre sie an der Schulter. Ur-Oma? An ihren Stein geschmiegt kaut meine Ur-Oma mit offenem Mund an einem unsichtbaren Bissen, kratzt mit dem Fingernagel in den Stein, sieht mit ihren großen braunen Augen durch alles hindurch.
    Für dich immer noch Marshall Rooster!, wird sie rufen und ihre Augenklappe aufsetzen, wenn ich ihr den Rücken zudrehe. Ich drehe ihr den Rücken zu, und es donnert über den Bergen.
    Es gibt etwas Räucherfleisch, in dicken und schiefen Scheiben, es gibt verkrusteten Schafskäse, es gibt das Brot, das Brot ist warm und weich und süß, es gibt trüben Pflaumensaft, es gibt Kajmak, Oma Katarina spült noch einmal das Besteck, und dann essen wir doch mit den Fingern; es gibt gekochte Kartoffeln, es gibt die Schalenreste auf den gekochten Kartoffeln, es gibt sieben Zahnstocher. Onkel Miki schneidet das Brot, Oma nimmt ihm das Messer aus der Hand. Es gibt Griebenschmalz, es gibt Salz, es gibt zwei Zwiebeln, es gibt hackfleischgefüllte Paprika, es gibt Sauergurken, es gibt die Diätmarmelade aus Deutschland, es gibt Schnaps und süßen Wein, davon können Blinde wieder sehen, sagt Ur-Opa heiser und hebt sein Glas. Auf meinen Slavko, sagt er, trinkt und bleibt stehen. Die ganze Zeit bleibt Ur-Opa am Kopf des Tisches stehen, und Ur-Oma isst auf ihrem Stein, mit dem Teller im Schoß. Wie geht es dem Ischias, Vater?, fragt Oma; was ist das?, antwortet Ur-Opa, und habe ich euch mal erzählt, fragt er, wie ich neunzehnvierzehn gegen die Österreicher eine Brücke war? Es gibt gekochten Sellerie, es gibt einen Hunger, den ich nicht stillen kann, es gibt hier keine Nachbarn, die füttern sich gegenseitig, sagt Ur-Opa, und lassen Krankheiten für sie entscheiden, wo ihnen der Kopf wächst und wo ihnen der Arsch hängt. Es gibt Risse in der Fassade, es kommt kein Grunzen aus dem Schweinestall, es gibt mitten im Hof das Grab für Petak.

    Meine Mileva und ich, sagt Ur-Opa, werden den Himmel überleben.
    Das Essen in Körben laufen wir zum kleinen Friedhof. Zur Seelenmesse wird zwei Mal gegessen, erklärt mir Oma, erst ohne den Toten, dann mit ihm, dazu gibt es Wein.
    Opa hätte von solchen Bräuchen nichts gehalten, sage ich.
    Die Wolkendecke hängt schwer und schwarz über den Pflaumenbäumen, die dürren Äste strecken sich zu den Blitzen. Es geht, sagt Oma, um das Beieinandersein.
    Ur-Opas weißes Haar liegt im Wind wie ein Schleier. Ich hole ihn ein, will wissen, was mit Ur-Oma los sei, sie war von ihrem Stein nicht zu lösen.
    Meine Mileva hat den leichtesten Kopf auf der Welt, sagt er und springt plötzlich zur Seite, schlägt mit Händen um sich und winkelt den Arm an, als würde er etwas in den Schwitzkasten nehmen, worauf es schlagartig windstill wird. Meine Mileva, sagt er außer Atem, mit etwas Großem unter dem Arm ringend, steht von ihrem Stein nur auf, wenn es Wichtiges zu tun gibt oder die Nacht zum Schlafen kommt.
    Die Latten am Friedhofszaun sind schief, das Holz moderig und rissig, die Nägel vom Rost zerfressen. Es blitzt unentwegt, donnert, als müssten die Wolken eingerissen werden, damit es zu regnen beginnt. Miki schüttelt den Kopf und lacht, obwohl niemand gesprochen hat. Die ersten, schweren Tropfen fallen.
    Opas Grab ist sauber und robust und der einzige weiße Fleck weit und breit. Ich lege die Kartoffeln ab, den Schnaps, den Wein, die Gläser, der Marmor glänzt schon vom Regen. Es gibt keine Partisanen mehr, sage ich zu Miki. Er hört nicht zu.
    In den Stein gerahmt ist ein ovales Bild: mein schwarzweißer Opa sieht mich an und sieht in mich, lauscht mit den Augen und weiß schon, wie alles ausgehen wird.
    An der Stelle, wo ich mir Opas Kopf vorstelle, bohrt Oma die Erde mit einem Löffel auf und steckt eine Zigarette in das Loch.

    Opa hat doch gar nicht geraucht, sage ich.
    Heimlich, sagt Oma, und Miki zündet seinem Vater und sich die Zigaretten an. Das Grab ist eine Festtafel, es regnet immer heftiger, wir setzen uns auf den Rand, essen jetzt noch einmal. Die Asche von Opas Zigarette krümmt sich. Der Regen trifft die Zwiebeln, trifft die Kartoffeln und schlägt gegen den Deckel vom Paprikatopf. Ich esse, als hätte ich seit Tagen gehungert, manchmal legt jemand etwas auf das Grab, eine Gurke, eine Scheibe Brot mit Griebenschmalz, ich salze das Brot und salze die Erde mit, bohre selbst ein Loch hinein, fülle es mit Schnaps. Ja, das
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