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Wie der Soldat das Grammofon repariert

Wie der Soldat das Grammofon repariert

Titel: Wie der Soldat das Grammofon repariert
Autoren: Sasa Stanisic
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dass du dann jeden Sonntag mit mir zu ihm gehst und ihm in aller Ruhe alles erzählst. Er soll auch ohne Zeitung und Brille und Spaziergang wissen, was los ist. Du machst die Wirklichkeit. Dann gehst du weg und lässt uns ein Stündchen allein. Die Geschichten übernehme ich.
     
    Oma weckt mich, indem sie am Laken unter mir zerrt, als wolle sie es mit mir darauf ausschütteln. Der Wecker zeigt sechs Uhr, neben Oma steht Miki. Guten Morgen, Aleksandar.
    Ich habe von einer Mischfrau aus Asija und Marija geträumt, mit hellen Locken. Ich habe Asijamarija ein Omelette-Frühstück ans Bett gebracht. Morgen, Onkel, sage ich und verliere den Kampf um die Decke, liege da in Unterhose vor Oma im schwarzen Kleid und meinem breitschultrigen Onkel im schwarzen Anzug. Miki dreht das Gesicht zum Fenster, der Höcker auf der Nase, die Augenbraue im hohen Bogen, es ist noch früh, sagt er, wir Jungs fahren mal eine Runde. Das Profil meines Opas, sein schöner Mund.

    Miki startet den Wagen, ich steige ein, wir schweigen. Wie geht es dir, Onkel?, frage ich nach einer Weile. Miki sieht geradeaus, niemand auf der Straße, wir sind gleich da, sagt er. Er fährt mit mir zur Brücke. Wir steigen aus. Ich folge ihm, er läuft bis zur Mitte und sieht in die Drina. Der Wind zieht kalt durch das Tal, über den Himmel rasen Wolken.
    Miki fährt mit mir zu einem Haus in der Pionirska Straße. Das Haus hat eine neue, gelbe Fassade, die es von den schmutzigen Nachbarschaftshäusern abhebt. Wind kommt auf. Auf der Bank unter dem Fenster sitzt ein alter Mann mit Hut, seinen Stock auf dem Schoß. Was machst du nach dem Studium?, fragt mich Miki. Der alte Mann spuckt seinen Kaugummi in die Hand und packt ihn mit zitternden Fingern in die Alu-Folie. Es kostet ihn viel Zeit und als er fertig ist, nimmt ihm Miki das Kügelchen ab. Geht’s?, ruft er dem Alten ins Ohr.
    K-k-k, sagt der Alte, gt, gt.
    Miki fährt mit mir zum Hotel Bikavac, das kein Hotel mehr ist. Die kleinen, heruntergekommenen Bungalows sind jetzt Wohnungen für die, die sich nichts anderes leisten können.
    Hast du eine Freundin?, fragt Miki und sieht zum Himmel. Es riecht nach Regen, sagt er, und: wann hast du vor, Kinder zu zeugen? Er klopft an mehrere Türen, eine wird aufgemacht, eine blasse Frau, das Gesicht noch zerknittert vor Schlaf, fragt unwirsch, was wir wollen.
    Guten Morgen sagen, sagt Miki.
    Miki fährt mit mir zum Hotel Vilina Vlas. Etwa auf dem halben Weg, in Kosovo Polje, parken wir bei einer Brandruine. Miki hebt einen Stein auf und reibt mit den Daumen über den Ruß. Auf dem Parkplatz vor Vilina Vlas bietet er mir eine Zigarette an und wirft die halb volle Packung weg, als ich sie nicht annehme.
    Auf dem Rückweg durch die Stadt biegt er zur Polizeiwache ab. Die Polizisten begrüßen ihn mit »Miki«. Jeder grüßt. Ohne anzuklopfen, betritt er ein kleines Büro, Pokor zieht sofort die Füße vom Tisch und legt die Zeitung weg. Schlüssel, sagt mein Onkel, und Pokor reicht ihm einen großen Bund.

    Alles klar, Miki?, aber Onkel würdigt ihn keines Blickes mehr.
    In den Zellen ist niemand. Miki schließt die größte Zelle auf, und legt den verrußten Stein aus Kosovo Polje auf die enge Liege, sagt: mach mal schnell das mit dem Studium fertig und sieh zu, dass du an Kohle kommst.
    Miki hat Listen gemacht. Miki fährt mit mir zur Feuerwehrstation. Er geht vor dem Garagentor in die Hocke. Dahinter standen früher die beiden großen, roten Wagen, für die ich keine kindliche Begeisterung aufbringen konnte. Miki faltet die Hände im Schoß und sieht mich von unten an. Auch ich gehe in die Hocke, aber er behält seinen Blick dort, wo kurz zuvor noch mein Kopf gewesen ist. Dein Vater und Bora halten es nicht für nötig, sagt er und zieht scharf die Luft durch die Nase ein, ihre eigene Mutter zu besuchen. Vielleicht meinen sie, Geld schicken, das reicht schon. Es reicht aber nicht. Sie ist unsere Mutter und wäre ohne mich allein. Und das sind keine guten Zeiten, um allein zu sein. Miki spricht mit ruhiger Stimme, seine Hände trennen sich und kommen wieder zusammen. Dein Vater und Bora haben mit mir ein Problem. Das ist eine Sache unter uns, das hat mit unserer Mutter nichts zu tun. Sag ihnen das.
    Vater hat gesagt, sie planen …, setze ich an, aber Miki unterbricht mich und findet auf Anhieb meine Augen: dein Vater hat seit sieben Jahren kein Wort mit mir gesprochen. Dein Vater schickt Geld und Fotos von einem Schwimmbad und von deiner Mutter im Badeanzug. Für deinen
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