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Wie angelt man sich einen Earl

Wie angelt man sich einen Earl

Titel: Wie angelt man sich einen Earl
Autoren: Caitlin Crews
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beiden von ganzem Herzen, aber das war nichts gegen den Hass, mit dem ihn Bruder und Mutter verfolgten.
    In der Rückschau bevorzugte er die Sichtweise, dass Olivers dekadenter Einfluss jede Demonstration mütterlicher Zuneigung ihm gegenüber verhindert hatte, und sei sie auch noch so schwach ausgeprägt gewesen. Doch das war nur eine Theorie. In Wahrheit hatte die ausschließliche Liebe seiner Mutter allein ihrem Erstgeborenen gegolten, sodass nichts für andere übrig blieb, weder für Rafe noch für ihren Mann. Sie hätte nach dem ersten Kind kein weiteres mehr bekommen sollen, doch leider hatte sie das nicht getan.
    Rafe erinnerte sich noch gut daran, mit welcher perversen Genugtuung sie stets seine Narben betrachtet und ihn damit gequält hatte. Unverhofft überrollten ihn die grauenhaften Bilder der Explosion. Der unsagbare Schmerz und die Trauer um seine Kameraden und Freunde. Sie waren alle tot, und mit ihnen starb seine Hoffnung auf eine glückliche, selbstbestimmte Zukunft, die er weit weg von seiner Familie geplant hatte.
    Wie hatten seine Mutter und Oliver gelacht, wenn sie ihn mit den schrecklichsten Namen belegten … Quasimodo … Frankensteins Monster …
    Und er glaubte ihnen. Fünfundzwanzig war er damals gewesen, und er hatte alles verloren, was ihm lieb und teuer gewesen war.
    Bevor Rafe sich Rechenschaft über sein Tun ablegen konnte, hob er die Arme und nahm das Bild von der Wand. Es reichte! Er wollte sich nicht länger vergiften lassen. Nicht von ihr und nicht von dem Teil in ihr, der zu Oliver gehörte. Warum sollte er etwas bewahren, das ihn an die Person erinnerte, die ihn hätte lieben und beschützen müssen?
    Mit steifen Schritten ging er zum offenen Kamin, zerbrach den Bilderrahmen über dem Knie und stieß einen unartikulierten Laut aus, als das splitternde Geräusch erklang. Das hätte er schon vor Jahren tun sollen! Er entzündete ein Feuer und überließ das Porträt seiner Mutter den verzehrenden Flammen. Wie in Trance schaute er zu, bis nur noch ein Häufchen Glut übrig war. Als auch diese sich in kalte, graue Asche verwandelte, schien der Bann plötzlich gebrochen zu sein.
    Ein Schauer rann über seinen Rücken, und sein Brustkorb hob und senkte sich unter heftigen Atemzügen, als wäre er bis auf den Gipfel oberhalb des Lochs gerannt. Dort gab es keine Finsternis, keine Bedrückung, nur klare reine Luft.
    Er dachte an Angels Lächeln und ihre süßen weichen Lippen, mit denen sie trotz seines Widerstrebens jede einzelne Narbe sanft erforscht und liebkost hatte. Er war nahe dran gewesen zu glauben, sie könne ihn allein durch ihre liebevollen Berührungen heilen, doch dann hatten ihn die alten Zweifel wieder eingeholt.
    Es war so schrecklich still hier ohne ihr Lachen, ihre Witzeleien und ihren leichten Schritt. Alles war leer und tot. Ein verwaister Platz ohne Leben. Hatte er Pembroke Manor unter Schweiß und Mühen neu aufgebaut, um als Geist in einem Mausoleum zu enden wie der Rest der Familie? Oliver und seine Mutter hatten hier ihr Leben gelassen – verbittert und stockbetrunken. Würde das auch sein Schicksal sein? Sollte so die Zukunft der McFarlands aussehen?
    Was hatte Angel gesagt? Genauso gut könntest du tot sein wie deine Kameraden aus der Armee, denn im Grunde genommen bist du selbst nur einer dieser Geister, die dich immer wieder heimsuchen …
    Jetzt verstand er sie. Und die Einsicht, dass sie es viel früher erkannt und gewusst hatte als er, machte ihm keine Angst mehr, sondern war wie ein frischer belebender Sommerwind. Er stieß die Fenster der Vergangenheit in seinem Inneren auf, fegte Dunkelheit und Spinnweben hinaus und durchflutete ihn mit Licht und Wärme.
    Er konnte die Vergangenheit nicht ungeschehen machen, aber den zerstörten Flügel eines alten Hauses restaurieren und damit ein neues, gesundes Fundament schaffen. Nichts würde ihm die Chance auf eine eigene glückliche Kindheit mit einer liebenden Mutter wiedergeben, doch er konnte ein Umfeld schaffen, in dem die nächste Generation genau das erleben durfte.
    Endlich verstand er. Schon viel zu lange hatte er sich auf Pembroke Manor vor der Welt versteckt und vor sich hinvegetiert, anstatt zu leben. Angel war die Einzige, die das nicht nur erkannt hatte, sondern auch keine Scheu gehabt hatte, ihn mit der Wahrheit zu konfrontieren. Und er hatte sie von sich gestoßen …
    Angel brauchte etliche Stunden und eiserne Nerven, um von einem kalten, abweisenden Ort mit einem seltsam klingenden gälischen
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