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Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld

Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld

Titel: Widersacher-Zyklus 05 - Nightworld
Autoren: F. Paul Wilson
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entdeckte er dann Dinge in ihnen – die Runzeln um die Augen im Gesicht einer alten Frau, der gekrümmte Rücken eines Panthers, die Zehen einer Eidechse. Wenn er die Form entdeckt hatte, die sich darin verbarg, dann kamen seine kleine Axt und die Sammlung von Meißeln ins Spiel und arbeiteten an dem Holz und mit dem Holz, um die verborgene Form zum Vorschein zu bringen.
    Moki war bescheiden, was seine Kunst anging. Er beanspruchte keinerlei Ruhm und übernahm auch keine Verantwortung für die Art der Dinge, die er hervorbrachte. Seine übliche Reaktion war: »Das war bereits im Holz vorhanden. Ich habe nur das, was überschüssig war, entfernt und es freigesetzt.«
    Aber tatsächlich tat er erheblich mehr. Denn Moki war es nicht genug, sein Werk als simple Skulpturen zu betrachten. Es war hawaiisches Holz, geschnitzt von einem beinahe reinblütigen Hawaiianer, aber für Moki war das bei Weitem nicht hawaiianisch genug. Wenn ein Stück fertig war, fuhr er es mit dem Boot zur großen Insel und trug es zum feurigen Rachen des Kilauea hoch, dem aktiven Vulkankrater am südöstlichen Hang des Mauna Loa. Da zapfte er etwas von der flüssigen Lava ab und goss sie in eine Form, die zu seiner Skulptur passte. Dann wartete er, bis die Lava so weit abgekühlt war, dass sie das Holz nicht mehr verbrannte, und setzte seine Skulptur in den zähflüssigen Stein.
    Kolabati hatte Mokis Arbeiten mit den komplexen Schnitzmustern und Verwirbelungen und den einzigartigen Lavasteinsockeln in einer Galerie in Honolulu gesehen. Sie war von ihnen so fasziniert gewesen, dass sie angefragt hatte, ob sie den Künstler kennenlernen könne. Sie hatte ein Werk in Auftrag gegeben und Moki während der Fertigstellung viele Male besucht. Sie fand den Mann so spannend wie seine Arbeiten. Seine Intensität, sein Lebenshunger, seine Liebe zu seinen Heimatinseln. Er war in sich geschlossen. In dieser Hinsicht erinnerte er sie ein wenig an ihren verstorbenen Bruder Kusum.
    Moki begehrte sie, aber er brauchte sie nicht, und das machte ihn für sie umso attraktiver. Es war eine Beziehung unter leidenschaftlichen Gleichberechtigten. Sie wollte Moki nicht besitzen, verlangte nicht all seine Leidenschaft für sich. Sie wusste, dass einiges davon in seine Kunst fließen musste und sie ermutigte ihn darin. Ihn zu beherrschen, ihn zu besitzen, würde ein wildes, einzigartiges Talent gefährden. Wenn sie ihn ganz für sich haben wollte, würde sie damit weniger bekommen, als sie vorher gehabt hatte.
    Moki brauchte seine Kunst, er musste Moki sein und ganz besonders musste er Hawaiianer sein. Er hätte liebend gern auf Niihau, der verbotenen Insel, gelebt und gearbeitet, der ältesten Insel der Kette, aber es war ihm nicht gelungen, die letzten der reinblütigen Hawaiianer, die dort auf ihre alte, traditionelle Weise lebten, dazu zu bewegen, ihn dorthin einzuladen. Wie die meisten Hawaiianer war Moki nicht reinblütig – Spuren von portugiesischem und philippinischem Blut flossen durch seine Adern.
    Aber im Herzen war er reinen Blutes. In ihrem Hale, ihrem Haus, kleidete er sich wie ein Hawaiianer, er sprach die alte Sprache und unterrichtete auch Kolabati darin.
    Seine Arbeiten, die eleganten und die grotesken, waren überall auf den Inseln zu finden, in Galerien, Museen, Geschäftsgebäuden und auf jeder freien Fläche in ihrem Haus. Kolabati liebte die vollgestopften Räume, was sehr untypisch für sie war. Für gewöhnlich war sie auf strenge Ordnung bedacht. Aber nicht in diesem Fall. Dieses Wirrwarr war Moki. Es drückte dem Haus seinen Stempel auf, machte es wahrhaft zu ihrem Haus. Denn so ein Haus gab es auf der ganzen Welt nicht noch einmal.
    Kolabati wollte nicht, dass sich daran etwas änderte. Zum ersten Mal in ihrem langen Leben war die eindringliche innere Stimme der Unzufriedenheit verstummt. Zum ersten Mal sehnte sie sich nicht mehr nach neuen Menschen, neuen Erfahrungen, neuen Gefühlen, der neuesten Mode. Beständigkeit – das war es, was jetzt in ihrem Leben mehr zählte als alles andere.
    »Bati! Hele mai! «
    Mokis Stimme, die sie aus seiner Werkstatt zu sich rief. Er klang aufgeregt. Sie wollte gerade zu ihm gehen, aber er kam ihr bereits entgegen.
    Die alte Kolabati wurde eines Mannes für gewöhnlich nach zwei Wochen überdrüssig. Sie waren alle gleich; es gab nur so wenige, die ihr etwas Neues zu bieten hatten. Aber selbst nach mehr als einem Jahr, das sie jetzt mit Moki zusammenlebte, erregte sie sein Anblick immer noch. Sein langes,
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