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Wider die Unendlichkeit

Wider die Unendlichkeit

Titel: Wider die Unendlichkeit
Autoren: Gregory Benford
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wäre.
    »Kommen Sie herein!« sagte die Stimme. »Wir brauchen Hilfe. Sie sind zwanzig Klicks entfernt. Der größte Teil der Strecke ist stabil.«
    Manuel erinnerte sich an die schwellenden Kuppeln, unter denen er als Junge gespielt hatte: die fetten, blattreichen Grünpflanzen, die sich drei Meter hochtürmten und die man abpflücken und umknicken konnte, wobei die ledrigen Stachel leicht abbrachen und ein üppigweiches Blatt übrigließen, das einen süßen, intensiven Geschmack in den Mund brachte, wenn man es schließlich aß. Und die Frucht, die reif herabhing, gebadet in Ultraviolett und Böen befruchtender Dämpfe, für Sidons eigenen Verbrauch herangezogen, von Hiruko begehrt, aber nie ausgeführt, und der ranzige Geruch fettmarmorierten Fleisches, in Fässern gezogen. Und das überschwemmende Aroma frischen Korns …
    Er dachte an Sidon. An feuchte, sich einhüllende Menschheit.
    »Nein. Nein.«
    »Was? Hören Sie, ich sage Ihnen …«
    »Sie brauchen mich da draußen. Sie wissen absolut nicht, wie sie alleine klarkommen.«
    »Sie gehören zu uns hier! Sie bringen sich …«
    Er wandte Sidon den Rücken zu. Die heisere Stimme rief weiter nach ihm, aber er ging – in das Land, das sich im eigenen Fluß bewegte, die Hand des Menschen mit heftigem Schütteln abwarf.
    Das Ende kam, und er sollte dort draußen sein. Eine tötende Leere bildete sich in ihm. Das meiste seiner Vergangenheit hatte er verloren. Viele der Hände, die ihn geleitet hatten, waren jetzt für immer zum Stillstand gebracht. Seine Erschöpfung war über den Punkt hinaus, an dem er sie noch selbst abschätzen konnte, aber er ging weiter, durchwatete Flüsse und stapfte unter Wasserfällen hindurch, die in Regenbögen über ihn hereinbrachen, kletterte Hänge hinauf, mühte sich durch frisch aufgepflügtes Geröll – und Dreckfelder, achtete in dem Donnern und Tosen kaum auf die überall verstreuten, zerknitterten Körper der Krauchies und Felskauer.
    Jetzt herrschte das Land, nicht der Mensch. Sein eher beiläufiges Aufwallen hatte seinen Vater in einen Laserstrahl geschleudert, und dadurch hatte Manuels Reise in seine Heimat begonnen. War es möglich, daß der sich ansammelnde Druck nicht mehr freigesetzt wurde, sobald das Aleph vor sechs Jahren aufgehört hatte, sich durch die Eiskruste zu bohren? Hatte die Tötung des Aleph all das bewirkt?
    Manuel schüttelte sich. Das war Wahnsinn. Wahnsinn.
    Hier draußen verstand man nicht, indem man wie ein Wissenschaftler Vermutungen anstellte und dann prüfte, hier draußen war es eine Sache des Lauschens, des Wartens, der Beobachtung der langsamen, sicheren Schwingung der Welten, der Rhythmen von Schwerkraft und Eis; Aufwärmen, Feuchtigkeit und dann wieder Eis; dünne, einströmende Luft und trübes, verbrannt-goldenes Sonnenlicht; stumpfe Massen und kalte Gleichgewichte; gleichmäßige Bewegungen, ohne Hast – eine alte, notwendige Trägheit, die Piet zu erspüren begonnen hatte. Die Erdler um Piet waren vom Tod besessen, waren besessen, sich selbst herabzufrieren und den einzigen Lohn zu ernten, den eine weltliche Erde ihnen gewährt hatte, die einzige Verheißung, die die Gesellschaft gegen das Grab anzubieten hatte. Indem er hierherkam, die rotierenden, schimmernden Dinge im Innern des Aleph sah, hatte Piet vielleicht eine andere Verheißung empfunden und – ohne bewußt daran zu denken, daß sie ihn am Ende beherrschte – war ins Aleph zurückgegangen, um einige Geräte zu holen, so hatte er gesagt, während in Wirklichkeit etwas in dem Mann zu einer empfundenen Vollendung zurückkehrte, und so hatte er beschlossen, dort auszuharren: eine inbrünstige Hoffnung, die Manuel als Blindheit, als Wunsch nach Umwandlung erschien, denn Manuel wollte keinen Fluchtpunkt aus dieser Welt der ewigen Kälte oder aus irgendeiner anderen Welt – er hatte noch Pläne, Ideen, verankert in diesem Land, unversöhnlich und unabänderlich dessen schwerem Schicksal folgend.
    Auf einem Geröllstück landete er falsch und verdrehte sich das Knie. Als er weiterging, begann es anzuschwellen, und jeder Kilometer war ein Martyrium. Als er die Stelle sehen konnte, trottete er mit schwankendem, ungleichmäßigem Schritt.
    Mehrere Kilometer vorher blieb er stehen und rief über Funk:
    »Bei euch sieht’s okay aus. Irgendwelche Eisverschiebungen?«
    »Nein. Noch nicht. Die Leichen sind außer Gefahr. Ich …«
    »Gut. Bewegt euch nicht!«
    »Wir hatten Angst, Sie würden nicht zurückkehren. Ich möchte Ihnen danken,
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