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Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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sehen, wie hoch die Sonne noch steht. – –
    Ich hab’s nicht überwinden können, ich mußte zu ihr hinaus. Da bin ich wieder,Wilhelm, will mein Butterbrot zu Nacht essen und Dir schreiben. Dabei schmerzt meine Hand bei der kleinstenVerrichtung; das Brot zu schneiden, beiß ich mir auf die Lippe, um nicht wehzuklagen. DieWunde, jener unselige Hundebiß, weitet sich zu etwas Üblerem aus, es scheint geboten, gleich morgen zumArzt zu reiten.
    Die jungen Leute hier haben einen Ball auf dem Lande ausgerichtet, zu dem ich mich willig finden ließ. Ich bot einem hiesigen, unbedeutenden Mädchen die Hand, und es wurde ausgemacht, daß ich die Kutsche nehmen, mit meinerTänzerin nach dem Ort der Lustbarkeit hinausfahren und auf demWege Charlotte S. mitnehmen sollte.
    – Sie werden ein schönes Frauenzimmer kennenlernen, sagte meine Gesellschafterin, da wir uns zurAbfahrt bereit machten. – Nehmen Sie sich in acht, daß Sie sich nicht verlieben!
    –Wieso? sagte ich.
    – Sie ist schon vergeben, an einen braven und reichen Mann, der weggereist ist, seine Geschäfte in Ordnung zu bringen.
    Die Nachricht war mir ziemlich gleichgültig, ich wollte eben denWagen besteigen, als ich den Bedienten auf dem Kutschbock derb am Lederzeug zerren sah.Was die Braunen hätten, fragte ich; mir entging nicht, daß die lammfrommen Pferde, die oft nur mit der Peitsche von der Stelle zu kriegen sind, unruhig taten, schnaubten, kaum im Geschirr zu halten waren.
    –Wird der Sturm sein, sagte der Kutscher. Der fuchst sie, macht sie wild.
    Über der Fahrt durch den weiten ausgehauenenWald vergaß ich desVorfalls, es ging nach dem Jagdhause hin. Die Sonne war noch eineViertelstunde vom Gebirge, als wir vor dem Hoftor anfuhren. Es war schwül, und das Frauenzimmer neben mir äußerte seine Besorgnis wegen eines Gewitters. Ich hoffte darin eine Erklärung für den heftiger werdenden Schmerz in meiner Hand zu erhalten, die ich vor dem Blick meinerWeggefährtin verbarg.Vor derAbfahrt hatte ich zum ersten Mal denVerband abgenommen, um mir zumTanz einen Handschuh überstreifen zu können, und dabei bemerkt, daß entlang desWundmals so etwas wie Haar aus der gedunsenen Haut hervordringt. Dies schien mir sonderbar, denn es ist bekannt, daß Haarwuchs im Umfeld von Narben üblicherweise ausbleibt. Dies Haar war zudem nicht von derArt, wie ich es an mir kenne; meins ist, Du weißt es, am Haupt wie am Körper von hellbraunem Glanz. DerWuchs unterhalb meines Daumens aber war schwarz und borstig wie das Fell eines Ebers. Ich hatte kaum vermocht, der harten Borsten mit einer Schere Herr zu werden.
    Ich stieg aus, eine Magd, die ans Tor kam, bat, ich möge mich einen Augenblick gedulden, Mamsell Lottchen würde gleich kommen. Mir war nicht nach Warten, wie ich in den letzten Tagen überhaupt eine innere Wildheit und Ungeduld an mir feststelle, die der Frühling verursachen mag, so ging ich durch den Hof nach dem wohlgebauten Hause. Da ich die Treppe hinaufgestiegen und in die Tür trat, fiel mir das reizendste Schauspiel in die Augen. Im Vorsaal wimmelten sechs Kinder um ein Mädchen von schöner Gestalt, die ein keusches weißes Kleid mit blaßroten Schleifen an Arm und Brust anhatte. Sie hielt ein schwarzes Brot und schnitt ihren Geschwistern ringsherum jedem sein Stück nach Proportion ihres Alters ab, gab’s jedem mit Freundlichkeit, und jedes rief ungekünstelt: Danke! indem es mit den Händchen in die Höhe reichte und mit dem Abendbrot vergnügt wegsprang oder nach dem Hoftor ging, um die Fremden und die Kutsche zu sehen, darinnen ihre Lotte wegfahren sollte.
    – Ich bitte umVergebung, sagte sie, daß ich Sie hereinbemühe und die Freundin draußen warten lasse.
    Meine ganze Seele ruhte auf ihrer Gestalt, ich lauschte demTone und hatte kaum Zeit, mich von derVerzückung zu erholen, als sie abseits auf den Rasen lief, ihrer Ziege Lebewohl zu sagen. Ein reizendes Kitz, kaum der Geißenmutter entwachsen, das mit drolligen Sprüngen rund um den Pflock setzte, an den Lotte es mit langem Strick gebunden.
    – Ich taufte ihn Fridolin.
    Mir ward die Ehre, Fridolin zu streicheln, doch wollte er kein Grasbüschel von mir nehmen.Wie schildre ich mein Gefühl,Wilhelm, als Charlotte dasTier umarmte, ihr Gesicht in sein feines Fell drückte und ihm Kosenamen gab!Wünscht ich nicht, ich selbst wär das Böckchen, das solcher Zärtlichkeit teilhaftig würde?
    Wir hatten uns kaum in der Kutsche zurechtgesetzt, die Frauenzimmer sich bewillkommnet und über die
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