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Werther, der Werwolf - Roman

Titel: Werther, der Werwolf - Roman
Autoren: Wilhelm-Goldmann-Verlag <München>
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braucheWiegengesang, und den habe ich in seiner Fülle gefunden in meinem Homer.
    Obzwar die geringen Leute des Ortes mich schon kennen, bin ich meist zufrieden mit mir allein und dem innigen Gespräch, das nur die Natur mit mir zu führen vermag. Ich weiß nicht, was ich für die Menschen hierAnziehendes besitze – es mögen mich ihrer viele, sie hängen sich gleichsam an mich.Wieder fühle ich, was ich schon oft bemerkt habe, auf das lebhafteste: Leute von Stand halten sich meist in kalter Entfernung vom gemeinenVolk, als glaubten sie, durchAnnäherung zu verlieren. Ich weiß, daß wir nicht gleich sind noch sein können, aber ich halte dafür, daß der, der nötig zu haben glaubt, vom sogenannten Pöbel sich zu entfernen, um Respekt zu erhalten, ebenso tadelhaft ist als ein Feiger, der sich vor seinem Feind verbirgt, weil er zu unterliegen fürchtet.
    Letzthin näherte ich mich einem Brunnen, war noch ein gutes Stück davon entfernt, da gewahrte ich ein junges Dienstmädchen, das ihr volles Gefäß auf die unterste Treppe gesetzt hatte und sich umsah, ob keine Kameradin käme, es ihr auf den Kopf zu helfen. Du fragst, Freund, wie ich das erraten habe? Das gerade ist dieAbsonderheit, die ich Dir schildern will. Ein großesWiesenstück lag zwischen uns, und doch hörte ich, wie das Mädchen murmelte:Ach, käm doch eine, mir zu helfen.
    Ich weiß nicht, ob täuschende Geister um diese Gegend schweben, oder ob eine warme himmlische Phantasie in meinem Innern ist, die mir alles rings greifbar nah erscheinen läßt, doch habe ich das junge Ding wahrhaft und deutlich vernommen. Mein Gehör, Du weißt es, ist durch eine oft auftretende Dumpfheit geplagt, weshalb ich im Gespräch gezwungen bin, dem oder jenem mich zuzuwenden, will ich ihn verstehen. Nichts davon an dem Morgen. Einem Luchs wäre die geseufzte Bemerkung des Kindes entgangen; ich aber stieg hinunter und sah sie an.
    – Soll ich Ihr helfen, Jungfer?
    Sie ward rot über und über. – O nein, Herr!
    – Ohne Umstände! sagte ich.
    Sie legte ihren Kringen auf den Kopf, ich half ihr, sie dankte und stieg mit mir hinauf.
    Wie mit den Ohren ist es in diesenTagen mit meinem ganzen Selbst. Oft muß ich mein wild pochendes Herz zur Ruhe lullen; so unstet, so fiebernd vorWachheit hast Du noch keines erlebt! Ein jagendes Gefühl zieht in mir zuletzt heftig herum, daß ich schreien und jauchzen möchte. Lieber! brauch ich Dir das zu sagen, der Du oft die Last getragen hast, mich vom Kummer zurAusschweifung, von süßer Melancholie zur verderblichen Leidenschaft übergehen zu sehen? Doch nie,Wilhelm, ich schwör’s, trieb mich wallende Menschenkraft in mir selbst so um wie in denTagen, da ich, denArm in der Schlinge, vonWundschmerzen geplagt, durch den Frühling streife!Wenn ich das Übermaß an Eindrücken, die sich mir zu grellbunten Gestalten und quälend lichtenAussichten gestalten, nicht länger ertrage, werde ich traurig und stumm bis auf denTod, kehre in mich zurück, und finde daselbst eineWelt vonAhnung und wilder Begier, in der alles vor meinen Sinnen schwimmt. Ich seufze und träume fort, fernab von derWelt.
    Leb wohl! der Brief mag Dir fremd sein, ich will mir Mühe geben, nächstens nüchterner das Dasein zu erfassen.

Am 13. Mai.
    Warum ich Dir nicht schreibe, fragst Du das? Du sollst raten, daß ich mich wohl befinde, und zwar – Kurz und gut, ich habe eine Bekanntschaft gemacht, die mein Herz näher angeht. Ich habe – ich weiß nicht. Dir in der Ordnung zu erzählen, wie’s zugegangen, daß ich eins der liebenswürdigsten Geschöpfe habe kennen lernen, wird schwer halten. Ich bin vergnügt und also kein guter Historienschreiber.
    Einen Engel! – Pfui! Das behauptet jeder von der Seinigen, nicht wahr? Und doch bin ich nicht imstande, Dir zu sagen, wie sie vollkommen ist, warum sie vollkommen ist; genug, sie hat all meinen Sinn gefangen genommen. So viel Einfalt bei so vielVerstand, so viel Güte bei so viel Festigkeit und die Ruhe der Seele bei dem wahren Leben und derTätigkeit. –
    Das ist alles garstiges Gewäsch, was ich da von ihr sage, leidigeAbstraktionen, die nicht einen Zug ihres Selbst ausdrücken. Ein andermal – Nein, nicht ein andermal, jetzt gleich will ich Dir’s erzählen.Tu ich es jetzt nicht, so geschäh es niemals. Denn, unter uns, seit ich angefangen habe zu schreiben, war ich schon dreimal im Begriffe, die Feder niederzulegen, mein Pferd zu satteln und hinauszureiten. Und gehe doch alleAugenblicke ans Fenster, zu
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