Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wernievergibt

Wernievergibt

Titel: Wernievergibt
Autoren: Friederike Schmöe
Vom Netzwerk:
Boden. Sopo kauerte auf seinen Beinen, Juliane auf seinem Brustkorb. Zwei Frauen, die zierlicher nicht sein konnten, hatten ihn fertiggemacht. Ich sah auch ziemlich viel Blut. Schwarze Flecken auf Julianes Shirt und auf dem Hemd von dem Typ.
    »Na endlich!«, keuchte Juliane. »Sopo hat ihm einen Tritt in die Eier gesetzt. Hilf uns mal.« Sie hörte sich an, als sei ihr ein Soufflé zusammengefallen.
    Ich zog meine Jacke aus. Damit verschnürten wir den Typ. Er begann wie verrückt zu reden, aber weder Sopo noch Juliane oder ich kümmerten uns darum.
    »Ein Auftragskiller«, sagte Juliane.
    »Juliane, du blutest!«
    »Das ist nur eine Fleischwunde.«
    Fleischwunde schien mir nicht das richtige Wort für eine so knochige Person wie Juliane. Mir zitterten die Hände, als ich ihre Schulter berühren wollte. Ich wollte ihre Wangen streicheln und ihr Haar.
    »Lass mich in Ruhe!«, kauzte sie mich an.
    »Du verlierst Blut«, widersprach ich matt.
    »Papperlapapp.« Sie sank gegen einen Baumstamm. »Himmel, beinahe hätte ich Dolly wiedergesehen!«
    Sie war völlig durchgeknallt. Der Schock, die Todesangst hatten sie auseinandergenommen wie einen alten Motor. »Juliane, du bist nicht schuld an Dollys Tod.«
    »Darum geht es nicht«, rief sie wütend. So wütend, wie man sein konnte, wenn aus einem Streifschuss an der Schulter Blut herauspulste. »Ich habe sie geliebt, meine kleine Schwester. Wir waren ein Herz und eine Seele. Bis sie meinem Geliebten gesteckt hat, dass ich fremdgegangen bin. Solche Sachen hat Dolly gemacht. Die Kleine, die Süße, die Mitteilsame, die mit dem goldigen Lächeln!«
    »Juliane …«
    »Der Kerl verzog sich natürlich.« Ihr Gesicht wurde sehr blass. »Verzog sich und ward nicht mehr gesehen. Und alle anderen Kerle, die ich danach geheiratet habe, drei an der Zahl, waren einfach nicht wie der. Ich habe Dolly nie mehr vertraut, verstehst du? Das Misstrauen, das war das schleichende Gift in unser beider Leben.«
    Sie sank zu Boden, lehnte sich an den Baumstamm und sagte: »Scheiße, tut das weh!«

55
    Im Hotel duschte ich und warf meine Jeans, meine All Stars und alle anderen Klamotten, die ich an diesem Tag getragen hatte, in den Mülleimer. Ich föhnte mein Haar und flocht es zu zwei lockeren Zöpfen. Anschließend zog ich eines von den Kleidern an, die ich in Tbilissi gekauft hatte, und die hochhackigen Sandalen. In meinem Waschbeutel fand ich einen halb verkrusteten Lippenstift in rostbraun.
    Der Polizist aus Batumi, der uns ins Hotel gebracht hatte und der nun meine Aussage aufnehmen sollte, erkannte mich zunächst nicht, als ich die Treppe zur Lobby hinunterkam. Ich setzte mich zu ihm und er glotzte. Die Verwirrung hielt nicht lang. Kawsadse kam ins Hotel, in seinem Gefolge Guga Gelaschwili aus Kachetien.
    »Wo ist Sopo?«, fuhr er mich an.
    »In ihrem Zimmer. Wir sind ein wenig mitgenommen.«
    Guga stürmte davon. Aha, dachte ich mir. Ich wette, Juliane hat das gewusst.
    Ich machte meine Aussage, die von einem ernst dreinblickenden Dolmetscher im dunkelblauen Anzug übersetzt wurde. Währenddessen starrte ich auf den Fernsehschirm, auf dem ein Vulkan Asche in den Himmel spie.
    Da Sopo so schnell nicht wieder auftauchen würde, bat ich den Polizisten, mich in die Klinik zu fahren, wo Juliane unter Beobachtung gehalten wurde.
    Mehr als dienstbeflissen half er mir in den Streifenwagen. Mir fiel ein, dass ich Nero anrufen musste, und verschob es auf später. Kawsadse sprang in letzter Minute zu mir auf die Rückbank. In seinem kehligen Englisch berichtete er mir von den neuesten Entwicklungen in diesem Fall. »Ihre Botschaft wird sich um Sie kümmern«, sagte er.
    »Um mich?« Mehr hätte er mich nicht verwirren können.
    »Falls Sie etwas brauchen, die Konsularabteilung ist informiert.«
     
    Juliane residierte in einem Bett am Fenster eines Zimmers, das von der Abendsonne beschienen wurde, und fing sofort an: »Holst du mich endlich hier raus oder was?«
    »Liebend gern, wenn sie dich lassen.«
    »Wer – sie!«
    »Die Ärzte!«
    »Also wissen Se, nee! Hör mal, mein Schnullerbäckchen. Mein Leben lang habe ich nichts auf die Meinung von Ärzten gegeben. Meinst du, ich wäre sonst so alt geworden?«
    »Haben sie die Wunde genäht?«
    »Die haben mich geflickt wie eine hässliche alte Wolldecke.«
    Ich lachte.
    »Schick schaust du aus, Kea.« Sie betrachtete mich mit einem Blick, so weich wie ich ihn bisher nicht gesehen hatte.
    Ich sank auf ihre Bettkante.
    »Und?«, fragte sie. »Wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher