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Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)

Titel: Werke von Fjodor Dostojewski (Illustrierte) (German Edition)
Autoren: Fjodor Dostojewski
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Gleichgewicht der inneren Kräfte haben, daß sie Volk sind, darauf kommt es an; der nächste Gassenbub tut es auch. Nun aber die heilende Kraft, die in allem Volk ruht, dem einen zuzuschreiben, an dem gerade man sie selbst gefunden hat, ist der Irrtum aller Nationalisten, des Dostojewski wie des Lagarde wie des Barrès (ich nenne diese drei, weil sie in ihrer politischen Gesinnung einander oft geradezu bis aufs Wort gleichen). Dostojewski muß dies übrigens irgendwie selbst insgeheim empfunden haben, an manchen Stellen seiner Puschkin-Rede ist er schon ganz nahe daran, es auszusprechen, daß wir bloß ins Volk einkehren müssen, ganz gleich in welches. Sein Nationalismus haßt nicht. Vom russischen Volk erwartet er vielmehr, daß es den anderen die »Allversöhnung« bringen wird. Er rühmt die »hohe synthetische Begabung« der Russen. Er findet im russischen Volk noch das Gefühl lebendig, daß der Mensch »nicht wie ein gewöhnliches Erdentier nur sein Leben friste, sondern mit anderen Welten und der Ewigkeit verbunden sei«. Das fehlt ihm im übrigen Europa, das er in Erwerb und in Genuß versunken sieht, und in Zwietracht. »Sowohl der Franzose wie der Engländer sieht in der ganzen Welt nur sich allein und in jedem anderen ein Hindernis auf seinem Wege; und ein jeder will bei sich allein das vollbringen, was nur alle Völker mitsammen vollbringen könnten, mit vereinten Kräften.« Er bemerkt nicht, daß er von den Franzosen, von den Engländern eben nur die Intellektuellen kennt und daß sein Kampf gegen die »Westler« doch überall in Europa gekämpft wird, ganz ebenso, wenn auch unter anderen Namen, überall lösen sich einzelne vom allgemeinen Schicksal los, verleugnen die inneren Stimmen und trauen sich zu, aus dem bloßen Verstande zu leben; überall setzt sich ihnen die Lebenskraft des unversehrten, seine inneren Gewißheiten ehrfürchtig bewahrenden Volkes entgegen; und überall wird sich, wo nur irgendein Volk zu sich selbst kommt und sein inneres Gesetz erfüllen lernt, dieselbe »synthetische Begabung« offenbaren. Wie wir aus unserer inneren Anarchie gerettet werden könnten, das ist heute das Thema Europas. Es ist das einzige Thema Dostojewskis. Er glaubt bloß zu Russen zu sprechen, doch er spricht von uns allen. Denn jene allversöhnende Gemeinsamkeit, auf die er in seinen reinsten Gesichten, in, wie er sie nennt, »unseren Stunden Christi« gehofft hat, ist ja schon da: in der schöpferischen Sehnsucht aller Nationen, Volk zu werden.
    Salzburg, 2. August 1913.

 

    Alexander-Newski-Kloster, Sankt Petersburg — Dostojewskis letzte Ruhestätte

 

    Das Grabmal Dostojewskis
     
     
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