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Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus
Autoren: Gerd Luedemann
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wieder zu überholen und völlig umzustülpen.
     Echte Wissenschaft korrigiert sich unaufhörlich selbst. Gleichzeitig steht fest, dass der Mensch kein rein rationales Wesen
     ist, sondern andere Schichten besitzt, die sich beispielsweise in Kunst und Poesie widerspiegeln. Zu diesem Bereich der Person
     gehört aber auch die menschliche Fähigkeit und Kraft zum Glauben. Nur wenige Menschen sind imstande, diesen Teil ihrer Person
     durch Wissen oder Rationalität auch nur ansatzweise in den Griff zu bekommen. Dann aber verlangt das Wissen, die Rationalität
     selbst, nach einer Kraft, die diese irrationale Seite des Menschen bezeichnet. Ich nenne sie |119| Glauben. Dieser Glaube kann freilich nie wieder Glaube an die Auferstehung oder an die Jungfrauengeburt oder gar an Gott oder
     an sonst etwas werden. Er ruht, vorläufig gesagt, in sich selbst und weiß sich von etwas getragen.
    Eine Entsprechung findet sich vielleicht im Alten Testament, wo Glaube ebenfalls ohne Objekt gebraucht werden kann. Dort ist
     der absolut gebrauchte Begriff Glaube sprachlich verwandt mit den Begriffen Treue und Festigkeit. Zu diesem sprachlichen Konzept
     gehört z. B. auch die Verwendung des Wortstamms
’mn
, um Gottes Treue auszusagen. »Amen« heißt dann so viel wie: Es hält, es gilt und darum ist es wahr, es geschieht, es wird
     Wirklichkeit. Wir begegnen dem absoluten Gebrauch von »glauben« im Alten Testament an einer Stelle des Jesajabuches, wo der
     Prophet Jesaja den König Ahas zum Stillehalten angesichts einer politischen Bedrohung rät. Er sagt zu ihm: »Glaubt ihr nicht,
     so bleibt ihr nicht« (Jes 7,9).
    Die Prägnanz dieses Satzes beruht darauf, dass sich im Hebräischen »glauben« und »bleiben« aus derselbe sprachlichen Wurzel
     herleiten. In dieser absoluten Verwendung kann man einen besonders radikalen Ausdruck des alttestamentlichen Glaubensverständnisses
     sehen. Dass nicht hinzugefügt wird, an wen der Glaubende glaubt, ist Absicht, denn dessen Addition nähme dem Glauben seine
     Eigenart. Der Glaube hat es zu tun mit dem, was dem Leben Bestand gibt. Wir befinden uns im Bereich des Seins oder Nichtseins.
     Im Glauben widerfährt dem Leben sein Gegründetsein. Glaube und Sein sind für Jesaja fast gleich, denn »Bestand haben« ist
     im Sinne des menschlichen Lebens nicht etwa als Lohn für den Glauben gedacht, sondern damit ist die Identität von Glauben
     und Bestand ausgesprochen. Die voneinander abweichenden Bedeutungen der beiden Verben in Jes 7,9 entspringen
einem
Sinn: »standhalten«.
    In der auf den Menschen bezogenen Rede vom Glauben im Alten Testament deutet sich vielleicht eine heute mögliche Glaubensweise
     an, die ein tragbares Verhältnis von Wissen und Glauben anbahnen kann. Der so verstandene Glaube wäre ein Teil des |120| Menschen, dessen Drang nach Wissen sein Schicksal bleibt, dem aber täglich sein Gegründetsein im Kosmos widerfährt.
     
    IV.
     
    Ich blicke noch einmal zurück: Wir begannen mit einer Übersicht über die umgangssprachliche Bedeutung von Glauben und Wissen
     und zeigten auf, wie stark der vorwiegend negativ besetzte Sinn von Glauben verursacht ist durch die Emanzipation der Wissenschaft
     von den Kirchenlehren. Daran schloss sich der Nachweis an, dass der christliche Glaube als ein Glaube an bestimmte Inhalte
     wie »Jungfrauengeburt« und »Auferstehung« erledigt ist. Am Schluss bemühten wir uns um eine tragfähige Verhältnisbestimmung
     von Wissen und Glauben. Sie gelingt dann, wenn der dogmatische Glaubensinhalt restlos aufgegeben und ein ausschließlich menschlich
     begründetes Glaubensverständnis gesucht wird.

Fußnoten
1. Gott wurde spät erfunden
    1
    Welt am Sonntag, 1. Oktober 2006. Lit.: GERD LÜDEMANN: Altes Testament und christliche Kirche. Versuch der Aufklärung, Springe
     2006.
2. Schwelgen in Ausrottungsphantasien
    1
    Welt am Sonntag, 8. Januar 2006. Lit.: GERD LÜDEMANN: Das Unheilige in der Heiligen Schrift. Die dunkle Seite der Bibel, 3.
     Aufl., Springe 2004.
3. Intolerantes Evangelium
    1
    Welt am Sonntag, 5. Dezember 2004. Lit.: GERD LÜDEMANN: Die Intoleranz des Evangeliums. Erläutert an ausgewählten Schriften
     des Neuen Testaments, Springe 2004.
4. Wer war Jesus?
    1
    Frankfurter Rundschau, 24. Dezember 2010. Lit.: GERD LÜDEMANN: Jesus nach 2000 Jahren. Was er wirklich sagte und tat, 2. Aufl.,
     Springe 2004.
5. Als Johannes der Täufer Karriere machte
    1
    Die Welt, 24. Dezember 2009. Lit.: GERD LÜDEMANN: Jesus nach 2000 Jahren. Was er
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