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Wer war Jesus

Wer war Jesus

Titel: Wer war Jesus
Autoren: Gerd Luedemann
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Wahrheitsgehalt der Existenz von Gespenstern, Dämonen oder
     Ufos ist. Mag es in den europäischen Breiten auch nicht so krass zugehen wie in Amerika, so ist doch auch bei uns die säkulare
     Welle dahin.
    Der Alptraum eines Roboters namens Homo Faber, der ohne religiöses Gefühl ist, weil es nur stört, war nur Episode. Der neue
     nachsäkulare Mensch erfüllt sich, wenngleich bescheidener und häppchenweise, den Urtraum vom neuen Menschen, wenn auch unter
     veränderten Bedingungen. Jedenfalls hat er wieder etwas, was die Rationalität übersteigt und Sinn gibt: eine Religion. Im
     modernen Individualismus verankert, bewegen sich seine Glaubensformen in relativer Distanz zu den organisierten Kirchen und
     geben ihnen manche Nuss zu knacken.
    |108| Der neue Mensch glaubt wieder, auch wenn die Inhalte unzusammenhängend, ja geradezu vagabundierend sind: an die Existenz Gottes,
     nicht aber an das Dogma von der unbefleckten Empfängnis; an viel Esoterisches, aber nicht an Astrologie; an die Heilung durch
     den Glauben, aber nicht an die Erlösung durch den Glauben allein; an ein Fortleben nach dem Tode, nicht aber an eine leibliche
     Auferstehung. Man hat zahlreiche Namen für diesen Glauben gefunden: »Religion à la carte« oder auch »Cafeteria-Religion«.
     Einen großen Vorteil gegenüber dem christlichen Mythos bietet er immerhin: Er ist gewaltfrei gegenüber Andersgläubigen.
    Das Aufkommen dieses Glaubens ist durch verschiedene Gründe bedingt. Der eine wurde bereits genannt: die Fähigkeit und der
     Wunsch des Menschen zu glauben. Der andere besteht im zunehmenden Erschlaffen der Wahrheitsfrage in den akademischen Disziplinen.
     Selbst unter Wissenschaftlern macht sich in einer Mischung aus Resignation und Trotz die Sicht breit, alle Anschauungen seien
     gleich willkürlich. Die Entstehung des neuen Glaubens hat aber auch darin einen Grund, dass das Wissen selbst seine Grenzen
     kennt. Echte Wissenschaft korrigiert sich unaufhörlich selbst.
    Nun steht fest, dass der Mensch kein rein rationales Wesen ist, sondern Tiefenschichten besitzt, die sich schon immer in Kunst
     und Poesie widerspiegeln. Zu diesem Bereich der Person gehört aber auch die menschliche Fähigkeit und Kraft zum Glauben. Diese
     Schichten des Menschen sind einfach da. Sie bedürfen nicht nur der Kontrolle, sondern auch der Betätigung.
    Die Wurzel des religiösen Erlebens geht in die früheste Phase des menschlichen Lebens zurück. Zwischen den Erlebnisqualitäten
     der Phase der Einheit im Mutterleib, die auch »primäre Liebe«, »basic trust« oder »Ur-Wir« genannt wird, und dem religiösen
     Erleben dürfte eine enge Beziehung bestehen. Entsprechend finden sich in der Mystik aller Schattierungen ergreifende Beschreibungen,
     wie die Seele den verloren geglaubten Weg zur Ureinheit zurücklegt. In tollkühner Spekulation ist für Spinoza die »geistige
     Liebe zu Gott ein Teil der unendlichen Liebe, mit der Gott sich selber liebt« und |109| das Gebet »ein Teil des unendlichen Gesprächs, das Gott mit sich selber führt«.
    Darum verlangt das Wissen, die Rationalität selbst, nach einer Kraft, die diese irrationale Seite des Menschen bezeichnet.
     Sie heißt Glaube. In nachsäkularer Zeit ist er zuweilen bei so genannten Glaubenslosen zu beobachten, während Glaubende in
     tiefe Depressionen fallen. Er drängt zur Sprache und will sich in seinem Erleben von Geborgenheit, Angst und Glück mitteilen.
     Dies scheitert aber oft. Dann bleibt es bei der ernüchternden Einsicht von Faust: »Gefühl ist alles, Name ist Schall und Rauch.«
     Gerade geboren, droht dem Glauben des neuen Menschen also eine ähnliche Verdunstungsgefahr wie zuvor dem christlichen Mythos.
     Und doch will er sich zu etwas erheben, was vorher Gott genannt wurde. Er muss lobpreisen und beten können, auch wenn es das,
     zu dem er beten möchte, gar nicht gibt. Daher findet sich auch der neue Mensch selbst nach dem Tode Gottes in einer Situation
     vor, die ihm den Dank gegenüber einer Instanz über sich abfordert.
    Rainer Maria Rilke sieht das ganze Leben als einen Ruf zur Rühmung an: »Dass ich dereinst, an dem Ausgang der grimmigen Einsicht,
     Jubel und Ruhm aufsinge zustimmenden Engeln.« Die »grim mige Einsicht« bezeichnet das Sterben ohne christliche Vertröstung; die Engel als die Mächte des Daseins rufen Menschen zum Dennoch
     eines Lebens in Würde auf. Für den neuen Menschen gilt beides: die moderne Wissenschaft, die ihn kränkt, weil sie den
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